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Dem Leben Sinn geben

Dem Leben Sinn geben

Titel: Dem Leben Sinn geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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tun ist, fühlt er sich weniger verloren. Für den sprachlichen Ausdruck offerieren Rituale Formeln , beispielsweise Gebetsformeln, die nicht neu erdacht, nur wieder aufgegriffen werden müssen.
    In mehrfacher Hinsicht überschreiten Rituale das Leben des Einzelnen: An ihrem Vollzug können viele teilhaben und sich auf diese Weise in einer Gemeinschaft aufgehoben fühlen. Wenn die Formen und Formeln sehr alt sind, stellen sie eine Verbindung zu unvordenklichen Zeiten her, seit denen sie endlos wiederholt werden, und zu fernen, künftigen Zeiten, bis zu denen sie immer weiter wiederholt werden. Indem siedie Gegenwart transzendieren, überbrücken sie die ontologische Lücke zwischen einer Wirklichkeit, die nicht mehr verändert werden kann, und Möglichkeiten, die noch nicht wirklich werden können. Zum Problem wird in moderner Zeit jedoch die Annahme vieler, dass Rituale an einen Glauben gebunden sind, auch wenn das nicht wirklich der Fall ist. Zum Problem wird ebenso die Ablehnung traditioneller Rituale, die nicht neu sind. Da es das Wesen von Ritualen ist, nicht neu zu sein, bleibt als Möglichkeit nur noch, sie neu zu erfinden und bei der zweiten oder dritten Wiederholung bereits von einer alten Tradition zu sprechen, die dann alsbald der Vergessenheit anheimfällt.
    Die Vielzahl von Trostmöglichkeiten zeigt: Im Grunde steht jedem Menschen in jeder Situation Trost in reichem Maße zur Verfügung. Die Frage ist nur, ob er das auch so sieht und die Anregungen Anderer dazu aufnimmt. Wenn nicht, kann Trostlosigkeit und Untröstlichkeit die Folge sein. In moderner Zeit scheint diese Erfahrung um sich zu greifen, denn der moderne Traum sieht vor, mithilfe von Erkenntnis, Analyse und Arbeit an Veränderungen jede Situation zu überwinden, die trostbedürftig sein könnte. Dieses Ziel rückt aber nicht näher, und zugleich erschließt sich dem säkularen modernen Menschen der Trost nicht mehr, den eine transzendente Dimension angesichts schmerzlicher Erfahrungen bieten kann.
    Um neuen, diesseitigen Trost zu finden, kommt es zur verstärkten Suche nach Glück , das mit Vorstellungen befrachtet wird, die dem alten, jenseitigen Heil verdächtig ähnlich sehen. Der moderne Mensch sucht sein Heil im Glück und ist bitter enttäuscht, wenn seine Erwartungen unerfüllt bleiben. Aus Furcht vor Heilserwartungen bestand Sigmund Freud darauf,»keinen Trost zu bringen« ( Das Unbehagen in der Kultur , 1930, Schluss), und so hieß die Devise fortan: Therapie statt Trost. Wenn aber die Therapie an Grenzen stößt, ist von Neuem danach zu fragen, worin der Trost denn besteht. Was ist insbesondere mit dem göttlichen Trost gemeint, von dem Meister Eckhardt im Buch der göttlichen Tröstung (etwa 1313-1323) einst sprach? Im Johannes-Evangelium wird dieser Trost dem Heiligen Geist zugeschrieben, der »in Ewigkeit bei euch bleibt«: Ist Gott auf diese Weise erfahrbar? Aber was ist dieser Gott? Wie konnte sogar Immanuel Kant sich getröstet fühlen von diesem Vers aus Psalm 23: »Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln«? Ist es ein Trost, sich von einer beherrschenden Macht geführt zu wissen? Was hat die Beziehung zu einer solchen Macht mit Liebe zu tun?
Die mögliche Liebe Gottes und die wirkliche Liebe zu Gott
    Immer scheint es Menschen bei einer Religion um eine Beziehung der Zuwendung und Zuneigung zu etwas oder jemandem über sich hinaus zu gehen, das oder der als grundlegend für alles Leben und alle Welt angenommen wird. Sich darauf zurückzubeziehen, sich daran »zurückzubinden« oder, wenn eine einstmals bestehende, aber aufgelöste Verbindung vorausgesetzt wird, sich damit »wiederzuverbinden« ( religare im Lateinischen), auf das Grundlegende aufmerksam zu sein und die entsprechenden Glaubenssätze und Rituale sorgfältig zu beachten ( relegere im Lateinischen), gilt traditionell als Religion. Lange in ihrer Geschichte war sie mit äußeren Formen der Tradition und Konvention verschmolzen, bevor sie immer mehr ins Innere des Einzelnen gewandert ist, für den derGlaube an eine Dimension über das eigene Leben hinaus ein Grund sein kann, eine Beziehung dazu einzugehen.
    In überlieferten Religionen trägt das Grundlegende den Namen »Gott«, aber das kann ein Verlegenheitsbegriff sein. Eigentlich sollte da kein Name sein, kein Begriff, denn jeder Begriff fasst etwas; ein Etwas namens Gott jedoch, wenn es Sinn hat, ist unfassbar. Niemand weiß wirklich, wer oder was das ist: »Gott hat kein Mensch je gesehen«, heißt es

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