Dem Leben Sinn geben
dich – du nervst mich! Geschwister und ihre Bedeutung für das Leben , 2009).
Eine eigene Art von Psychodynamik bringt der Umstand mit sich, Trennungskind mit Halbgeschwistern oder Adoptivkind mit nicht-leiblichen Geschwistern zu sein, verschärft von einer ungleich verteilten Liebe der Eltern, selbst wenn sich dies nur nach subjektivem Empfinden so verhalten sollte. Demgegenüber hat ein Einzelkind alle Ressourcen der Eltern für sich und kann Geschwister problemlos entbehren – oder sehnt sich erst recht nach ihnen, schon um der permanenten Beobachtung durch die Eltern zu entgehen, der es als einzelner Bezugspunkt ausgesetzt ist.
Zwillinge und Mehrlinge erleben das Glück, immer einem Anderen nahe sein zu können, auch auf Distanz, immer bei ihm Verständnis zu finden, auch ohne Worte, sich immer mit ihm auseinandersetzen zu können, ohne jemals eine Entfremdung befürchten zu müssen. Das Schicksal, bereits im Mutterleib gemeinsam herangereift zu sein, begründet eine starke Bindung, und es wird zur zweiten Natur, sich auf den Anderen einzustellen, mit ihm zu fühlen, ihn im Blick zu haben. Dennoch kennt auch diese innige Art der Geschwisterliebe ein Phänomen wie Eifersucht und die Geschwister ärgern sich darüber, vom sozialen Umfeld zu sehr als Einheit, zu wenig als Individuen wahrgenommen zu werden. Insbesondere eineiigen Zwillingen widerfährt das, aber die Entwicklung einer eigenen Persönlichkeit ist ihnen genauso wichtig wie anderen Menschen.
Manche Geschwister verstehen sich bestens, andere gar nicht, ohne dass je gänzlich zu klären wäre, warum das so ist. Die unterschiedlichen Temperamente obliegen nicht der freien Wahl, sie sind von Natur aus angelegt und werden von der sozialen Umgebung weiter ausgeformt. Allenfalls ist es mit einem willentlichen Eingreifen und langen Einüben möglich, eine Anlage oder Ausformung abzumildern oder umgekehrt noch zu verstärken. Vorstellbar ist, dass der ausgeprägte Charakterzug des Einen eine gegenteilige Ausprägung bei seinem Gegenüber herausfordert, dem Gesetz der Polarität folgend, das in einer gegebenen Konstellation von Personen die Wahrnehmung gegensätzlicher Rollen geradezu erzwingt.
Im familiären Theaterstück spielt jede und jeder eine Rolle, die sie oder er sich nicht unbedingt ausgesucht hat, sodass es nicht sinnvoll ist, sie sich wechselseitig vorzuwerfen. Das Stück, das alle gemeinsam aufführen, kann beim »Familienstellen«, einer Art der Systemaufstellung , tatsächlich auf eine Bühne gestellt werden. In den Darstellern und ihrer räumlichen Position wird sichtbar, welche Energien in ihnen und zwischen ihnen im Spiel sind. In Gefühlen und Gedanken finden die Energien ihren Ausdruck und offenbaren erstaunliche Muster, die im real gelebten Leben erfahrbar sind. Loyalitäten, Brüche, Verletzungen und Verstrickungen kommen zum Vorschein; sie vor sich zu sehen, ermöglicht jedoch auch Veränderungen.
Bei Geschwistern, die wenig Sympathie füreinander empfinden, hat der Neid leichtes Spiel, Resultat eines unwiderstehlichen Bedürfnisses, sich miteinander zu vergleichen, wobei mindestens einer das Gefühl hat, »zu kurz zu kommen«. Die Ächtung des Neids als »Todsünde« in der christlich geprägten Kulturgeschichte konnte dem Phänomen nichts anhaben, sodass auf ein existenzielles Neidbedürfnis geschlossen werdendarf, das umso mehr hervortritt, je weniger ein Mensch mit sich zufrieden ist. Mit seinem Neid zeigt ein Mensch zuverlässig an, dass er das Gefühl für den eigenen Wert nicht hinreichend aus sich selbst bezieht, sodass er auf den Vergleich mit Anderen angewiesen ist, die im Verdacht stehen, mehr zu haben, wovon auch immer: Ideelle, materielle, sexuelle oder sonstige Ressourcen. Andere haben etwas, das ich nicht habe, und das kann auf keinen Fall mit rechten Dingen zugegangen sein. Neid ist im Grunde immer Lebensneid , sein Nährboden ist die ontologische Kluft zwischen den Seinsebenen von Wirklichkeit und Möglichkeit, schmerzlich empfunden von dem, dessen Wirklichkeit sich allzu sehr verengt, während Anderen attraktive Möglichkeiten offenstehen, von denen sie einige auch verwirklichen.
Einen Stammplatz besetzt im Verhältnis von Geschwistern außerdem die Eifersucht , hervorgetrieben von der Befürchtung, der jeweils Andere könnte lebenswichtige Ressourcen rauben; Indizien reichen dafür völlig aus, und seien sie noch so trügerisch. Das gilt vor allem für die Ressourcen der elterlichen Liebe, aus diesem Grund buhlt
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