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Dem Leben Sinn geben

Dem Leben Sinn geben

Titel: Dem Leben Sinn geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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Lortzings Oper Undine von 1845):
    Vater, Mutter, Schwestern, Brüder
    Hab’ ich auf der Welt nicht mehr
    Kehrt’ ich auch zur Heimat wieder
    Fänd’ ich alles öd und leer
    Ein zentrales Familienproblem und Problem von Recht und Gerechtigkeit zwischen Geschwistern ist das Erben: Erben ist des Teufels , es kann Streit bis hin zum dauerhaften wechselseitigen Ausschluss aus dem Leben verursachen. Eigentlich könnten ererbte Güter das Leben der Beteiligten erleichtern und für entspannte Verhältnisse sorgen, abgesehen davon, dass vielleicht eine Erschlaffung des Lebens aufgrund des anstrengungslosen Wohlstands droht. Der Streit aber erscheint attraktiver und kann die Familie in kürzester Zeit zersprengen. Eltern, die etwas zu vererben haben, sollten daher alle erdenkliche Vorsicht walten lassen, möglichst mit notarieller Hilfe, um bis in alle Verästelungen des Erbrechts hinein vorzusorgen und keine Sprengsätze zu hinterlassen. Die Erben wiederum sollten sich darauf besinnen, dass restlose Gerechtigkeit nicht zu erreichen ist, schon gar nicht beim Erben: Ungleiche Dinge können nicht in gleiche Teile zersägt, unschätzbare Dienste nicht grammweise gegeneinander aufgewogen werden, und sowieso fühlen sich immer alle benachteiligt.
    Wenn es um das Erben geht, ist keine Niedrigkeit zwischen Menschen ausgeschlossen. Gerade jetzt, wo es darauf ankäme, bei allen zwiespältigen Gefühlen die kluge Rücksicht, Umsicht, Vorsicht und Voraussicht nicht zu vergessen, lässt sich auf übliche menschliche Umgangsformen nicht mehr setzen. Die Beteiligten erleben Eigenschaften und Emotionen an sich und Anderen, die sie nie zuvor kannten: Nicht etwa nur Ärger, Neid und Eifersucht, sondern auch Hass, Ruchlosigkeit und Gnadenlosigkeit. Gerade diejenigen, die gerne den »Weltfrieden« beschwören, schaffen es noch nicht einmal, den Familienfrieden zu bewahren. Gerade der, der privat und politisch die mangelnde Wertschätzung der Familie beklagt, fühlt sich in dieser Situation nicht mehr für sie verantwortlich. Gewöhnlich hochgehaltene Werte sind plötzlich gegenstandslos, so mancher Christ entsinnt sich der Ethik der Bergpredigt nicht mehr. Die Nächstenliebe scheint außer Kraft gesetzt zu sein, wenn der Nächste zu nahe kommt und die Interessen frontal kollidieren. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst? »Jeden, aber den nicht!« Du siehst den Splitter im Auge deines Bruders, den Balken im eigenen Auge aber siehst du nicht? »In meinem Auge ist kein Balken!« Kann es sein, dass die Gewissheit des Glaubens außer der Selbstgewissheit auch die Selbstgerechtigkeit stärkt?
    Mit einem Mal wird klar, woher große Tragödien wie die Sieben gegen Theben des Aischylos und Shakespeares King Lear ihren Stoff haben. Wer einmal selbst erfahren hat, wie sich die bildhaften »Stiche ins Herz« bei solchen Konflikten ganz real anfühlen, zweifelt nicht mehr daran, dass üble Krankheiten davon verursacht werden können. Ein wesentlicher Grund für die Heftigkeit von Erbauseinandersetzungen ist abseits alter Rechnungen sicherlich die verzweifelte Hoffnung, im Leben doch noch »zu etwas zu kommen«, nachdem andere Gelegenheiten dazu ungenutzt geblieben oder unglücklich verstrichensind: Erben als letzte Chance. Allenfalls ein Mensch, der mit sich und seinem Leben im Reinen ist, kann das nackte Eigeninteresse zugunsten der Bewahrung von Beziehungen zurückstellen und ein Erbe auch dann ausschlagen, wenn mehr als nur Schulden zu erben sind. Die Interessen stoßen sich nur dann hart im Raum, wenn sie zu dicht beieinander liegen. Sie zu entzerren, nimmt ihnen jede Möglichkeit zur Überkreuzung, entspannte Verhältnisse stellen sich ganz von selbst ein. Irgendwann können die Beteiligten sich vielleicht sogar wieder zu einem gemeinsamen Mahl verabreden, denn: »Nach einem guten Essen kann man jedem verzeihen, selbst den eigenen Verwandten« (Oscar Wilde, Eine Frau ohne Bedeutung , 1893, 2.Akt).
Besonderheiten der Liebe zwischen Großeltern und Enkeln
    So problematisch Geschwisterbeziehungen sein können, so unproblematisch ist eine weitere Beziehung, die häufig glückt: Die Liebe zwischen Großeltern und Enkeln. Die moderne Freiheit konnte dieser Beziehung erstaunlich wenig anhaben: Wenige wollen sich von ihr befreien, das springt dem Beobachter der Beziehungen ins Auge. Eher ist ihr neue Bedeutung zugewachsen in der Zeit, in der Beziehungen nicht selten missglücken: Wenn die Eltern sich zerstreiten, werden die Großeltern zur rettenden Oase.

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