Dem Leben Sinn geben
griechischer Spruch ( philotes isotes , NE 1157 b 36). Aber in der wirklich gelebten Freundschaft ist das am ehesten in jugendlicher Zeit möglich, später hängt viel davon ab, wie groß die Ungleichheiten werden. Eilt einer von Erfolg zu Erfolg, hat der Andere nicht unbedingt immer Freude am Freund, dem er nur noch applaudieren kann und der ihn, ohne es zu wollen, an fehlende eigene Erfolge erinnert. »Jedermann kann am Leid eines Freundes Anteil nehmen, aber es verlangt schon einen sehr edlen Charakter, es verlangt tatsächlich den Charakter eines wahren Individualisten, am Erfolg eines Freundes Anteil zu nehmen« (Oscar Wilde, »Die Seele des Menschen im Sozialismus«, Essay, 1891).
Der Eine kann gegensteuern, indem er sich jede Überheblichkeit versagt, der Andere, indem er sein Eigenes besser wertschätzt, denn Neid stellt sich vorzugsweise dort ein, wo Unzufriedenheit mit den eigenen Verhältnissen vorherrscht. Wo dennoch Neid bleibt, muss nicht unbedingt auch Missgunst die Folge sein: Ich kann dem Freund von Herzen gönnen, worum ich ihn beneide. Eine andere mögliche Reaktion auf wachsende Ungleichheiten aber ist die Schmeichelei , um wenigstens auf diese Weise noch an den Freund heranzukommen und die Distanz zu ihm zu überbrücken. Der Schmeichler bestärkt den Anderen selbst dort, wo es keinen Grund dafür gibt. Er verspricht sich davon, an den umfangreicher werdenden Möglichkeiten des Anderen teilhaben zu können. Ratsamer wäre aber eher, die Freundschaft ruhen zu lassen und es dem Leben zu überlassen, was daraus noch werden soll. Meist genügt es, auf den weiteren Fortgang der Dinge zu setzen: Wahrscheinlich stellen sich irgendwann noch andere Zeiten ein, in denen der freundschaftliche Beistand wieder gefragt ist.
5. Probleme entstehen bei einer Überspannung der Freundschaft , und zwar nach zweierlei Seiten hin: Erweist einer dem Anderen so große Wohltaten , dass der ihm viel, ja, alles verdankt, kann dies zu einer Last für die Freundschaft werden, denn wie wäre es jemals wieder aufzuwiegen? Vermutlich aus diesem Grund brach Max Frisch die Beziehung zu seinem Jugendfreund Werner Coninx ab, der einer wohlhabenden Familie entstammte und ihm, dem Mittellosen, nicht nur abgetragene Anzüge, sondern auch eine umfassende Bildung bereitwillig weitergab, ihm schließlich sogar das Studium finanzierte. Stellten nicht die Werke Frischs eine schöne Gegengabe dar? Aber der kunstsinnige Freund schien sie nie sonderlich zu schätzen, sodass Frisch sich nach vielen Jahren in der autobiographischen Erzählung Montauk (1975) von der »lebenslänglichen Dankesschuld« zu befreien suchte und die einstige Freundschaft als »fundamentales Unheil« für sich abtat.
Und nicht nur zu viele und zu große Wohltaten können die Freundschaft in Frage stellen, sondern auch zu viele und zugroße Belastungen . Den Freund immer aufs Neue mit den eigenen Schwierigkeiten zu befassen, muss den Eindruck in ihm wachrufen, als Schuttabladeplatz zu fungieren. Aus Furcht vor Überlastung und Kontamination verweigert er irgendwann die Aufnahme weiterer Lasten. Dabei steht das Maß dessen, was Freunde sich zumuten können, nicht objektiv fest, sondern hängt von ihrer subjektiven Verfassung ab und auch davon, was sich im Laufe der Zeit schon angestaut hat. Ein Gespür für das richtige Maß kommt auf dem Weg von Erfahrung und Besinnung zustande, Gefühle sind daran beteiligt: Ahne ich vorweg, das rechte Maß zu überschreiten, wenn ich mit diesem Problem auf den Anderen zukomme, sehe ich besser davon ab. Stellt sich hinterher das Gefühl ein, definitiv zu weit gegangen zu sein, überlege ich besser gleich selbst, wie das wiedergutzumachen ist.
6. Wie in der Liebesbeziehung kann auch in der Freundschaft die Geldfrage zum Problem werden, nicht so sehr als wiederkehrende und vor sich hinschwelende Frage der Verteilung von Gütern und Lasten, eher als Ad-hoc-Frage: Einer ist in materieller Not und der Andere springt ihm mit einem geliehenen oder geschenkten Betrag bei. Das scheint der Ethik der Freundschaft zu entsprechen, wonach »unter Freunden alles gemeinsam ist«, nach einem Satz aus der Schule des Pythagoras, den Aristoteles zitiert ( koina ta philon , NE 1159 b 31).
Die Folge kann jedoch übermäßiger Leichtsinn sein, da der Freund ja ohnehin für alles einsteht. Wenn alles gemeinsam ist, hat es mit der Rückgabe eines geliehenen Betrages keine Eile. Nur ein selbstauferlegter Ehrenkodex, klare Absprachen und ihre zuverlässige
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