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Dem Leben Sinn geben

Dem Leben Sinn geben

Titel: Dem Leben Sinn geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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dafür Verständnis haben, niemand verfügt über die Kräfte für eine grenzenlose Aufmerksamkeit nach allen Seiten hin. Wenn aber der Mangel an Aufmerksamkeit anhaltend einseitig bleibt, einer also dem Anderen auf Dauer mehr Energie, Zeit und Gehör schenkt, als er von ihm erhält, jedenfalls nach eigener Überzeugung? Dann steht die Frage im Raum, ob dem Anderen die Pflege der Beziehung nicht am Herzen liegt oder ob er sich einfach nur schwer damit tut, selbst die Initiative zu ergreifen. Wenn Letzteres, dann übernehme ich es eben, ihn immer wieder zu kontaktieren, etwas vorzuschlagen und ein Treffen zu organisieren.
    2. Probleme resultieren aus der Kritik am Freund , die unweigerlich irgendwann angebracht erscheint. Sie kann ein Mittel zur Distanzierung sein, und es entlastet beide Seiten, dies als Grund in Betracht zu ziehen: Dann ist eben Distanz angesagt, bis auf Weiteres. Ist die Kritik aber wirklich als solche gemeint, kann sie das Verhältnis belasten. Sie dennoch zu üben, bedarf einer »Tapferkeit vor dem Freund«, von der Ingeborg Bachmann einmal sprach ( Die gestundete Zeit , 1953, Gedicht »Alle Tage«). Der Mut zur Kritik auf der einen, die Offenheit dafür auf der anderen Seite sind Elemente einer Ethik der Freundschaft, um die jedenfalls die wahren Freunde sich bemühen.
    Kritik zu üben fällt leichter, wenn der, dem sie gilt, kein großes Problem damit hat, sie anzunehmen, und dafür kann er selbst Sorge tragen, wenn er seine Empfindlichkeiten nicht zu groß werden lässt: » Nicht von Glas sein im Umgang «, rät Balthasar Gracián, » noch weniger in der Freundschaft « ( Handorakel , Aphorismus 173). Das wiederum ist umso mehr möglich, je weniger der Kritisierte Anlass sieht, am Wohlwollen des Freundes zuzweifeln. Zu dessen Sorge gehört es daher, gerade im Moment der Kritik keinen Zweifel am prinzipiellen Wohlwollen aufkommen zu lassen. Dann darf er Dinge sagen, die Andere nicht sagen dürfen, und diese Kritik wirkt stärker als die von irgendjemandem sonst. Die Freiheit, die die Beziehung der Freundschaft auszeichnet, ermöglicht, auch die Wahrheit zu sagen , wie sie jedenfalls subjektiv erscheint: »Ein Freund muss Freiheit haben, ohne Zurückhaltung zu raten, ja zu tadeln« (Gracián, Aphorismus 147). Keine Beschönigungen voneinander zu erwarten, ist die Voraussetzung dafür, sich um Verbesserungen im eigenen und gemeinsamen Leben bemühen zu können, sei es, um dem Freund eine Freude zu bereiten oder aber ihm »etwas zu beweisen«. Auch auf diese Weise spornen die Freunde sich zur Vortrefflichkeit an, in der Aristoteles den ethischen Wert der Freundschaft sah.
    3. Probleme entstehen mit wachsenden Unterschieden . Das betrifft Unterschiede in den Eigenschaften, Haltungen, Lebensstilen, Sichtweisen, Meinungen und Urteilen. Selbst in der Freundschaft, in der Unterschiede sich gewöhnlich gut ergänzen, werden sie gelegentlich zu groß, die Toleranzen dafür zu klein. Das kommt beispielsweise bei Entscheidungen zum Vorschein, die einer trifft, während der Andere sie für unbegründet und grundfalsch hält. Einer will sich beruflich neu orientieren, während der Andere das für einen unbedachten »Schnellschuss« hält. Einer will eine Familie gründen, während der Andere darin einen Verrat am gemeinsamen Ideal des Anderslebens sieht. Einer hat sich innerlich von Grund auf verändert und ist »nicht mehr der Alte«, kehrt vielleicht eine materielle Orientierung hervor, die seiner früheren ideellen glatt widerspricht, was der Andere unverzeihlich findet.
    Da die Freunde gewöhnlich nicht zusammenleben, habenStreitpunkte nicht die bedrückende Wirkung wie in einer Liebesbeziehung. Über sie zu sprechen, ist (zumindest für Männer) nicht vordringlich und auch nicht in jedem Fall erforderlich. Eine Lösung kann darin bestehen, sich für eine Weile nicht mehr zu sehen und abzuwarten, ob die Unstimmigkeiten sich von selbst auflösen oder in milderem Licht erscheinen. Schwieriger zu überwinden sind die Unterschiede, die nicht nur individuell, sondern kulturell begründet sind und tief in Herkünften und Mentalitäten wurzeln: Sie können alle individuellen Anstrengungen zu ihrer Überwindung unterlaufen (Michael Roes, Geschichte der Freundschaft , Roman, 2010).
    4. Probleme entstehen mit wachsenden Ungleichheiten der Bildung, des Besitzes, der sozialen Zugehörigkeit, die anfänglich nicht existierten oder lange keine Rolle spielten. »Freundschaft ist Gleichheit«, verkündete ein alter

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