Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dem Leben Sinn geben

Dem Leben Sinn geben

Titel: Dem Leben Sinn geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
Vom Netzwerk:
unsterblich ist, können nicht nur die Liebenden, sondern auch die Freunde für immer beieinander sein: Ein transzendenter Sinn, der diesseitig bleibt und kein Jenseits voraussetzt. Trotz aller Transzendenz tauchen im banalen Alltag allerdings Probleme auf, die die Freundschaft in Frage stellen können.
Die Probleme, mit denen die Freundschaft konfrontiert ist
    Das Glück der Fülle, das in der Freundschaft erfahrbar wird, schließt Gegensätze nicht aus, vielmehr entsteht Fülle erst in der Bewegung zwischen Gegensätzen. Alles Leben ist bipolar, nichts daran ist eine Störung, allenfalls eine Überforderung für Menschen, die mit Gegensätzen nicht gut leben können.Es kommt darauf an, die Freundschaft, wie die Liebe, zwischen den Gegensätzen atmen zu lassen, zwischen guten Gefühlen und unguten Problemen, zwischen Verständnis und Missverständnis oder gar Unverständnis, und von Grund auf zwischen Nähe und Distanz. Phasenweise sind die Freunde sich zu nah, dann wieder zu fern. Sollten sie mit wachsender Entfernung »den Draht« zueinander verlieren, können sie die Nähe durch Potenzierung zurückgewinnen: Neue Impulse für die Beziehung ergeben sich aus einer demonstrativen Zuwendung und Zuneigung zum Anderen, an den ich denke, für den ich Zeit habe, mit dem ich spreche. Jede Aufmerksamkeit, jedes Verständnis für ihn ist »eine gewisse Gefälligkeit, die das Leben süß macht« (Knigge, II, 6, 11).
    Freundschaft erfordert jedoch nicht ständige Nähe, vor allem dann nicht, wenn sie lange währen soll: Gerade auf Distanz können die Freunde sich nahe sein. Sollten sie die Nähe irgendwann als beengend empfinden, treibt eine gewollte oder ungewollte Polarisierung sie wieder auseinander. In dieser Phase suchen sie nicht das Gemeinsame, sondern legen Wert auf das Trennende; an die Stelle von Begeisterung tritt die Ernüchterung über die Beziehung, die nicht so toll ist wie gedacht. Anlässe dazu bieten kleinere und größere Irritationen, die selbst unter den vertrautesten Freunden leicht entstehen. Sehen sie sich zu häufig, führt das womöglich dazu, über nervige Angewohnheiten des je Anderen nicht mehr so ohne Weiteres hinwegsehen zu können. Jeder kann in diesem Fall, so Knigge (II, 6, 13) »zu genaue Bekanntschaft mit den kleinen Fehlern des Freundes machen, deren jeder Mensch mehr oder weniger hat, die auch nicht so sehr auffallen, wenn man nicht immer miteinander lebt«. Es wäre aber schade, auf diese Weise »einander überdrüssig zu werden«. Meist bedürfe es nur eines»Zwischenraums von wenig Tagen« ( sic! ), um vom besonderen Wert des Freundes wieder überzeugt zu sein.
    Entscheidend ist die Bedeutung , die Irritationen zugemessen wird: Eine kleine , wenn die Nähe vermisst wird, sodass die Freunde mit wachsendem Abstand zur Auffassung kommen, dass es Wichtigeres gibt als die Differenzen, etwa trotz allem die Beziehung zu bewahren. Eine große , wenn die Nähe erdrückend wirkt und die Freunde Abstand brauchen. In der Distanz findet jeder den Freiraum für sich, den er zur Regeneration benötigt. Schon zum Zweck der Distanzgewinnung sollte es daher möglich sein, wie Nietzsche meinte, »nicht nur seine Feinde lieben, sondern auch seine Freunde hassen« zu können ( Also sprach Zarathustra I, 1883, »Von der schenkenden Tugend«, 3). Nicht für immer, nur für eine Weile. Anlässe dafür gibt es genug, denn so vielfältig wie das Glück der Freundschaft können auch ihre Probleme sein.
    1. Probleme werden von einem Mangel an Aufmerksamkeit verursacht, eine absichtslose Unachtsamkeit reicht dafür völlig aus. Es kann sich um das unbedachte Zurückhalten einer für unbedeutend gehaltenen Information handeln, die den Anderen auf Umwegen dennoch erreicht und den Verdacht aufkeimen lässt, das Verhältnis sei wohl doch nicht so vertrauensvoll wie gedacht: »Gestern habe ich deinen Freund im Kino getroffen!« »Ach, er war im Kino?« Erst recht gilt dies für bedeutsamere Informationen über Veränderungen im Leben des Anderen, auch über Schwierigkeiten, die ihm zu schaffen machen. Erfahre ich davon nichts, mit einiger Verspätung aber doch etwas, womöglich später als Andere, beginne ich an der Freundschaft zu zweifeln: Wozu befreundet sein, wenn wir uns nicht mal auf dem Laufenden halten? Wie können wir uns beistehen, wenn wir uns unsere Schwierigkeiten verheimlichen?
    Der Mangel an Aufmerksamkeit kann gut begründet sein, wenn einer Zeit für sich und seine Angelegenheiten braucht. Jeder kann

Weitere Kostenlose Bücher