Dem Pharao versprochen
Hitze, die im Stall herrschte, und trotz der vielen Fliegen, hatten sich die Tiere willig das Halfter umlegen lassen und er hatte sie ins Freie hinausführen können, um sie zu bewegen.
In der Sykomore schrie ein Nachtvogel. Duamutef streckte die Beine aus. Das rechte war eingeschlafen, und er bewegte es, um das Blut wieder zum Zirkulieren zu bringen. Würde Anchesenamun noch kommen? Allmählich glaubte er nicht mehr daran. Was hatte er von diesem Treffen erwartet? Er musste sich endlich damit abfinden, dass Anchesenamun vergeben war. Selbst wenn ihm gelänge, ihr Herz zu gewinnen, war sie dennoch die Frau des Pharaos und würde es immer sein! Und er, Duamutef, war nur ein gewöhnlicher Pferdepfleger, der zwar ein gutes Händchen für Tiere, aber sonst nichts zu bieten hatte … Sie beide trennten Welten. Er seufzte tief.
»Duamutef?«
Ein Flüstern in der Dunkelheit. Er zuckte zusammen. Schnell kam er auf die Beine und antwortete leise: »Ich bin hier.«
Er hörte, wie Stoff raschelte. Das Geräusch von Schritten. Und dann stand Anchesenamun vor ihm, eine dunkle, verhüllte Gestalt. Doch er roch ihren Duft, den er unter Tausenden von Gerüchen wiedererkannt hätte: Vertraut und trotzdem aufregend. Er spürte, wie die Ader an seinem Hals pulsierte.
»Anchesenamun … Ich dachte schon, du würdest nicht mehr kommen!« Er streckte ihr impulsiv seine Hände entgegen. Anchesenamuns Finger schlossen sich um seine Handgelenke. Einen Moment lang standen sie sich gegenüber, stumm, voller Verlegenheit.
»Ich … ich wollte dich einfach noch einmal sehen, bevor der Pharao zurückkommt«, sagte Anchesenamun. »Danach werde ich wenig Zeit haben, weißt du …«
Ihre Stimme. Wie hatte er sie vermisst!
»Du hast mir gefehlt«, rutschte es ihm heraus. Sogleich bereute er den Satz. Am liebsten hätte er sich auf die Zunge gebissen, aber es war zu spät.
Anchesenamun lachte leise. »Du mir auch«, sagte sie. Dann ließ sie seine Hände los.
»Wir haben uns lange nicht mehr getroffen.« Duamutefs Stimme klang rau. »Ich muss jetzt immer ziemlich viel arbeiten. Selket hat dir sicher erzählt, dass ich inzwischen Pferdepfleger bin.«
»Ja, sonst hätte ich ja nicht gewusst, wohin ich den Diener mit der Nachricht schicken soll«, erwiderte sie.
»Stimmt. Richtig.« Was redete er nur für einen Unsinn. Aber ihre Nähe verwirrte ihn mehr, als ihm lieb war. Eigentlich wollte er kluge Dinge sagen, sie mit seinen Worten beeindrucken. Aber sein Kopf war wie leergefegt.
»Selket hat auch erzählt, dass du ein Pferd gerettet hast«, sagte Anchesenamun.
Wie sanft sie das sagte! Ihre Stimme war weich wie das Wasser eines Sees.
»Du hast schon immer gut mit Tieren umgehen können. Erinnerst du dich noch an das Gazellenkitz mit dem gebrochenen Bein? Du hast ihm eine Schiene gemacht.«
»Ja.« Bilder von längst vergangenen Zeiten stiegen in ihm auf. Den kleinen Rundstall, den er gezimmert hatte, damit das Kitz sich zwar bewegen, aber nicht fortlaufen konnte. Anchesenamuns strahlende Augen, als ihr das Tier zutraulich die Hand geleckt hatte. Sie und Selket, im Sand kauernd und mit leckeren Kräutern lockend. »Ich weiß noch, wie du die Gazelle festgehalten hast, damit ich ihr Bein schienen konnte. Sie hat dir vor lauter Angst aufs Kleid gemacht.«
»Das hab ich ganz vergessen.« Anchesenamun lachte wieder. »Ich habe immer geglaubt, dass du eines Tages Arzt wirst oder ein Heiler.«
»Dafür muss man zu lange die Bücher studieren.«
»Ja, du warst schon immer sehr ungeduldig.« Anchesenamun machte eine Handbewegung. »Wollen wir ein paar Schritte spazieren gehen? Die Nacht ist so schön, so mild.«
»Gern.«
Sie gingen nebeneinander am Flussufer entlang. Ab und zu streiften sich ihre Arme, was Duamutef jedes Mal erschaudern ließ. Er hätte sie so gern berührt, ihre Schulter umfasst oder ihre Hüfte, wie er es früher getan hatte. Doch er durfte es nicht. Sie war die Frau des Pharaos …
»Woran denkst du gerade, Duamutef?«
Er schluckte. »Als wir Kinder waren, war vieles einfacher. Eine glückliche Zeit … Ich bin kein Meister der Worte, aber es war einfach schön. Du warst zwar schon damals dem Pharao versprochen, aber irgendwie … irgendwie hat das keine Rolle für uns gespielt.«
»Und jetzt spielt es für dich auf einmal eine Rolle?«, fragte sie.
»Ja. Du bist nicht mehr frei … Die Kluft zwischen uns … sie ist viel größer als früher. Du bist schließlich Pharaonin und musst deinem Gatten in Zukunft
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