Dem Pharao versprochen
der Öffentlichkeit so aufgetreten war und dieses Bild gepflegt hatte. Ihre Interessen galten der neuesten Mode und schönem Schmuck. Sie hatte auch viel Zeit damit verbracht, die Bilder und Statuen zu begutachten, die von ihr angefertigt wurden, und dafür Modell zu sitzen.
Imara war ganz anders. Zu ihr hatte Anchesenamun immer kommen können, jederzeit. Wenn sie sich das Knie aufgeschlagen hatte oder im Garten von einem großen Vogel erschreckt worden war, dann hatte Imara sie tröstend in den Arm genommen. Sie hatte auch geduldig ihre unzähligen Fragen beantwortet oder schlichtend eingegriffen, wenn Streit unter den Schwestern ausgebrochen war. Aber jetzt hätte Imara wahrscheinlich keine passende Antwort auf die Frage, die Anchesenamun auf den Lippen brannte.
»Was soll ich machen? In Kürze soll ich das Lager mit dem Mann teilen, dem ich versprochen bin – dabei liebe ich doch einen anderen!«
Wahrscheinlich würde Imara ihr raten, sich an ihre Pflicht zu erinnern, den Verstand einzuschalten und den Mann, in den sie verliebt war, zu vergessen …
Anchesenamun seufzte tief. So sehr sie auch grübelte, es gab keine Lösung. Der Weg führte nur in eine einzige Richtung.
Daran musste Anchesenamun nun denken, während sie in der Menschenmenge stand und auf den Pharao wartete. Es war ihr verboten, Duamutef zu lieben – und das Beste war, sie schlug sich Selkets Bruder aus dem Kopf, wenn sie kein Unglück auf ihn und sich herabbeschwören wollte. Tutanchamun hatte ein Anrecht auf sie, sie waren füreinander bestimmt. So war es vor vielen Jahren beschlossen worden.
Die Leute ringsum jubelten laut, als sie den goldenen Streitwagen des Pharaos erblickten. Das Gold funkelte in der Sonne, und Anchesenamun musste geblendet die Augen schließen, als der Wagen auf sie zurollte. In diesem Moment hatte sie das Gefühl, dass eine Fremde in ihren Körper geschlüpft war – und dass sie selbst nur als Beobachterin der Szene beiwohnte.
Als sie den Kopf hob, spürte sie, wie der Pharao sie anblickte. Er sah blendend aus. Die Wüstensonne hatte seine Haut gebräunt, und er wirkte viel männlicher als vor ein paar Monaten, als Anchesenamun ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Der Feldzug hatte ihn reifen lassen; Tut war kein Jüngling mehr, sondern erwachsen.
Sein Blick hielt sie fest. Es war, als schlösse sich ein Panzer um ihre Brust.
Du bist mein.
In diesem Moment wurde ihr klar, dass es keinen Ausweg für sie gab. Sie musste Duamutef vergessen, durfte ihn nicht wiedersehen. Sie war die Große Königliche Gemahlin, es warteten Aufgaben auf sie. Eine davon war, dem Pharao einen Thronfolger zu gebären.
Ein stechender Schmerz fuhr durch ihren Kopf.
Würde sie Tutanchamun je lieben können?
»Ich muss es, ich will es«, murmelte sie so leise, dass niemand sonst es hören konnte.
Sie hatten zusammen zu Abend gegessen, und ein Teil der Dienerschaft hatte sich bereits zurückgezogen. Im Palast war es wunderbar kühl, und durch die Fensteröffnungen strömte süßer Blütenduft herein. Im Palastgarten wuchsen die schönsten Pflanzen aus aller Herren Länder. Ein geschickter Gärtner kümmerte sich darum, dass alles gedieh. Neu gepflanzte Bäume und Stauden wuchsen gut, wurden stark und trugen manchmal sogar Früchte. Außerdem hatte er schon oft Pflanzen durch Samen und Ableger vermehrt. Der Garten war das reinste Kunstwerk, und es war eine Wonne, darin spazieren zu gehen.
Genau das schlug Tutanchamun jetzt Anchesenamun vor.
»Ein Spaziergang nach dem Essen wird uns gut tun.« Er erhob sich und reichte Anchesenamun die Hand. »Komm.«
Sie stand ebenfalls auf. »Ein guter Vorschlag. Ich liebe diesen Garten.«
Während sie ihm nach draußen folgte, betrachtete sie ihn von hinten. Seine Schultern waren breit und muskulös. Die Haut glänzte wie Seide. Goldene Armreifen zierten seine Oberarme. Seine Hüften waren schmal, die langen Beine kräftig. Er war schön, ein Gott. Anchesenamun konnte sich vorstellen, dass er vielen Frauen gefiel und dass diese sich wünschten, an ihrer Stelle zu sein.
Warum bin ich nicht glücklich?, fragte sie sich, während sie über die Schwelle ins Freie trat. Der Abendwind spielte mit ihren Haaren.
Tutanchamun hatte seine Diener angewiesen, an der Tür zu warten und ihnen nicht zu folgen. Er wollte mit Anchesenamun ungestört sein.
»Nun erzähle«, forderte er sie auf, nachdem sie im Garten angelangt war. »Was hast du in den letzten Monaten gemacht? Wie ist es dir
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