Dem Pharao versprochen
mein Kind gedeiht und aufwächst. Warum wird meine Geduld so erprobt? Warum verfolgt mich das Unglück? Kann ich wenigstens sicher sein, dass es meine Tochter bei dir im Totenreich gut hat und dass es ihr an nichts fehlt?«
»Das sind viele Fragen auf einmal«, antwortete der Gott und lächelte. »Sei unbesorgt! Deine Tochter ist bei mir gut aufgehoben. Du brauchst dir ihretwegen keine Gedanken zu machen. Und es ist auch nicht deine Schuld, dass sie nicht am Leben geblieben ist.«
Anchesenamun fühlte, wie ihr Herz leicht wurde. Ein großer Druck wurde von ihr genommen. Wenn Osiris das sagte, dann war es wahr, und sie brauchte keine Gewissensbisse mehr zu haben.
»Die Götter stellen dich auf eine harte Probe«, fuhr Osiris fort, und jetzt war das Lächeln aus seinem Gesicht verschwunden. »Du wirst geprüft, wie viel Leid du aushalten kannst. Dein Vater war ein Ketzerkönig, und du hast nie die Liebe deiner Mutter gespürt. Du warst schwanger mit einer Tochter, die du unter Schmerzen geboren hast und doch nicht behalten durftest. Die Prüfungen sind noch nicht zu Ende, Anchesenamun. Immer, wenn du nach dem Glück greifen willst, scheint es dir zwischen den Fingern zu zerrinnen. Die nächste Prüfung wartet schon auf dich.«
»Was wird passieren?«, fragte Anchesenamun beunruhigt.
Osiris’ Umrisse wurden unscharf, der Gott fing an, sich aufzulösen.
»Bleib«, bat Anchesenamun. »Geh noch nicht fort. Ich habe noch so viele Fragen an dich!«
»Meine Zeit ist um«, antwortete Osiris. »Denk an meine Worte und verzweifle nicht. Eines Tages werden die Prüfungen ein Ende haben. Aber selbst dann hat dein Glück einen hohen Preis.«
Nach dieser letzten Ansage verschwand der Gott. Dort, wo er gestanden hatte, war nur noch ein leerer Platz.
Anchesenamun versuchte, den Wagen zu wenden. Doch die Zügel rissen, und die Pferde kamen frei. Der goldene Wagen selbst brach auseinander, und Anchesenamun stürzte mit einem Schrei auf die Erde.
Sie erwachte schweißgebadet.
Selket war an ihrer Seite und betupfte ihre Stirn mit einem feuchten Tuch.
»Alles ist gut, Anchesenamun. Schlaf weiter. Ich bin bei dir. Du brauchst deine Ruhe, um neue Kräfte zu sammeln.«
Anchesenamun hielt Selkets Handgelenk fest. »Ich bin Osiris begegnet«, flüsterte sie. »Er hat mir gesagt … dass meine Tochter bei ihm gut aufgehoben ist …«
»Eine Vision, die dir die Götter geschickt haben«, sagte Selket. »Das ist ein großes Geschenk, Anchi!«
»Er hat gesagt, dass noch mehr Prüfungen auf mich warten und dass mein Glück einen hohen Preis haben wird. – Was bedeutet das, Selket?« Anchesenamun sah ihre Milchschwester angstvoll an. »Was wird mir noch zustoßen? Wird es Duamutef treffen? Vielleicht ist er ja schon tot und konnte deshalb nicht nach Waset kommen …«
»Jetzt mach dir darüber keine Sorgen«, versuchte Selket Anchesenamun zu beruhigen. »Hier, nimm noch einen Schluck von Imaras Trank, er wird dir helfen!« Sie reichte ihr den bronzenen Becher. Dann half sie ihr, sich wieder zurechtzulegen. »Schlaf gut, meine liebste Schwester! Ich werde die ganze Zeit hier sitzen bleiben und bei dir wachen. Sei also unbesorgt!«
Anchesenamun fühlte, wie ihre Lider schwer wurden. Der Trank fing an zu wirken …
»Sie ist verflucht!«, zischte Tij, während Eje in seinem Sessel saß und nachdenklich vor sich hinstarrte. »Wenn Tutanchamun klug wäre, dann würde er sich eine andere Frau nehmen – eine mit einem kräftigen Becken, die stark genug ist, einen gesunden Thronfolger zur Welt zu bringen.«
»Sei vorsichtig mit deinen Worten«, murmelte Eje. »Das habe ich dir schon einmal gesagt. Bring kein Unglück über uns.«
»Ich sage nur, was jeder denkt«, gab Tij zurück und zupfte mit ihren dicken Fingern ein paar verwelkte Lilienblüten ab. Der Blumenstrauß, der in der Vase stand, war schon ein paar Tage alt. »Ganz Waset redet davon. Es ist kein Geheimnis, dass die Königin keinen Thronfolger zur Welt bringen kann.«
Eje seufzte. Er war des Themas inzwischen überdrüssig. Es verging kaum ein Tag, an dem Tij nicht auf Anchesenamun herumhackte. Sie fand immer etwas, das sie kritisieren konnte: einen angeblich arroganten Blick, Verstocktheit, Faulheit und natürlich Untreue.
»Vielleicht gibt es auch einen anderen Weg, wie sich Tutanchamun seiner Gemahlin entledigen könnte, ohne dass er sie verstoßen muss«, sagte Tij mit einem feinen Lächeln und blickte ihren Gatten an. Eje sah das Funkeln in ihren
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