Dem Sieger eine Handvoll Erde
»Ist sie das nicht?« Man merkte seiner unterdrückten Stimme deutlich die Spannung an, unter der er stand. »Ist sie das nicht?«
»Doch, das ist die ›Chevalier‹.«
In der Bucht lagen mindestens ein Dutzend Jachten und Kabinenkreuzer vor Anker. Das Wasser, in dem sich der Mond spiegelte, war glatt wie ein Brett. Die Jacht, die dem Ufer am nächsten lag, war ein sehr luxuriöses Modell und eher fünfzehn Meter lang als zwölf. Sie war tatsächlich weiß und blau.
»Und jetzt?« fragte Rory. »Was tun wir jetzt?« Er zitterte, aber diesmal lag es weder an der Kälte noch daran, daß er Angst hatte. Diesmal zitterte er eindeutig vor Aufregung. Harlow blickte nachdenklich nach oben.
Eine Wolkenbank glitt auf den Mond zu.
»Jetzt essen wir erst mal was. Ich bin hungrig.«
»Essen? Essen? Aber, ich meine …« Rory deutete erregt auf die Jacht.
»Alles zu seiner Zeit. Es ist ziemlich unwahrscheinlich, daß deine Mutter im Lauf der nächsten Stunde verschwindet. Außerdem, wenn wir uns ein Boot – äh – leihen würden und damit zur ›Chevalier‹ hinausführen … ich bin nicht gerade scharf darauf, bei dieser Festbeleuchtung entdeckt zu werden. Aber es sind Wolken im Anmarsch. Warten wir lieber noch ein bißchen. Festina lente.«
»Festina was ?« fragte Rory verblüfft.
»Du bist wirklich ein reichlich ungebildeter junger Mann«, schalt ihn Harlow, aber sein Lächeln strafte seine tadelnden Worte Lügen. »Das ist eine alte lateinische Redensart und heißt: Eile mit Weile.«
Sie schlichen davon und erreichten schließlich ein Hafenrestaurant. Harlow begutachtete es von außen und schüttelte den Kopf. Desgleichen bei dem zweiten Restaurant. Erst das dritte schien seinen Wünschen zu entsprechen. Es war dreiviertel leer. Sie setzten sich an ein Fenster, an dem Vorhänge die Sicht nach draußen versperrten – aber auch die Sicht nach innen.
»Wo liegt der Unterschied zwischen diesem und den beiden anderen Restaurants?« fragte Rory.
Harlow zog den Vorhang ein Stückchen beiseite. »Von diesem hier hat man eine gute Aussicht.« Und Rory mußte zugeben, daß sie von ihrem Platz aus eine ausgezeichnete Sicht auf die ›Chevalier‹ hatten.
»Aha«, sagte er und überflog lustlos die Speisekarte. »Ich bringe keinen Bissen hinunter.«
Fünf Minuten später dampften zwei riesige Teller mit Bouillabaisse vor ihnen auf dem Tisch. Und weitere fünf Minuten später war Rorys Teller so leer, als käme er frisch aus dem Geschirrschrank. Harlow musterte lächelnd den Teller und dann Rory. Aber urplötzlich verschwand das Lächeln aus seinem Gesicht.
»Rory, schau mich an. Schau auf keinen Fall zur Bar. Benimm dich ganz natürlich. Es ist nämlich gerade ein Mann hereingekommen, den ich flüchtig kenne. Er heißt Blöke und verließ das Coronado-Team ein paar Wochen, nachdem ich dort angefangen hatte. Dein Vater hat ihn wegen Diebstahls gefeuert. Er stand auf sehr gutem Fuß mit Tracchia, und aus der Tatsache, daß er jetzt hier ist, kann man schließen, daß sich daran nichts geändert hat.«
Der Mann, der mit einem Glas Bier an der Bar saß, trug einen braunen Overall und war bemerkenswert hager. Er nahm einen Schluck aus seinem Glas, und sein Blick fiel auf den Spiegel, der hinter der Bar aufgehängt war. Und augenblicklich erkannte er Harlow, der an einem Tisch saß und sich ernsthaft mit Rory unterhielt. Er erstickte beinahe an seinem Bier. Er stellte sein Glas auf die Theke, legte ein paar Münzen daneben und verließ das Lokal so unauffällig wie möglich.
»Er wurde ›Yonnie‹ genannt. Seinen richtigen Namen kenne ich nicht. Ich glaube, wir haben ihn überzeugt, daß wir ihn weder gesehen noch erkannt haben. Wenn er mit Tracchia zusammenarbeitet, dann können wir sicher sein, daß Tracchia bereits an Bord ist. Entweder hat Tracchia ihm eine kurze Pause genehmigt, damit er etwas trinken konnte, oder er hat ihn weggeschickt, weil er keine Zeugen haben will, wenn er mich auf der Jacht schnappt.«
Harlow zog wieder den Vorhang beiseite, und sie schauten hinaus. Ein kleines, von einem Außenbordmotor angetriebenes Boot steuerte direkt auf die ›Chevalier‹ zu. Rory warf Harlow einen fragenden Blick zu.
»Unser lieber Tracchia ist ein sehr impulsiver Mensch. Deshalb hat er es als Rennfahrer auch nie so weit gebracht, wie es eigentlich seinen Fähigkeiten entspricht. In fünf Minuten wird er irgendwo draußen auf mich warten, um mich niederzuschießen, sobald ich das Restaurant verlasse. Bring mir
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