Dem Sieger eine Handvoll Erde
»Ich glaube dir nicht.« Er klebte ein Stück Tesafilm über Neubauers Mund. »Das mache ich nur, damit du keine Möglichkeit hast, die Zyanidtablette auszuspucken«, erklärte er seelenruhig.
Als nächsten nahm Harlow sich den Mann vor, der versucht hatte, seine Waffe zu ziehen. Mit einer Tablette in der Hand kniete er sich neben ihn. In panischer Angst begann der Mann zu schreien, bevor Harlow Gelegenheit hatte, auch nur ein Wort zu sagen.
»Sind Sie wahnsinnig? Sind Sie wahnsinnig? Um Gottes willen, er hat die Wahrheit gesagt! Die ›Chevalier‹ liegt in Bandol vor Anker. Zweihundert Meter vor der Küste. Und sie ist wirklich blau und weiß.«
Harlow starrte den Mann eine Weile an, nickte dann, stand auf, ging zum Telephon und wählte die Nummer 17 – das Überfallkommando, was man sowohl als polizeiliche Hilfe als auch als polizeilichen Notdienst verstehen kann. Er brauchte nicht lange zu warten.
»Ich rufe aus der ›Einsiedelei‹ in der Rue Georges Sand an. Ja, genau. In einem Kellerraum werden Sie Heroin finden, das, nach seiner Menge zu urteilen, ein Vermögen wert ist. Im gleichen Raum befindet sich auch die Ausrüstung, die für die Herstellung von Heroin im großen Stil erforderlich ist. Und in besagtem Raum werden Sie sechs Leute finden, die für die Herstellung und den Vertrieb des Heroins zuständig sind. Sie werden keinen Widerstand leisten – sie sind ausbruchssicher gefesselt. Drei von ihnen sind die Gebrüder Marzio. Ich habe ihnen die Ausweispapiere abgenommen – und auch einer gewissen Anne-Marie Puccelli, die wegen Mordes gesucht wird. Die Papiere werden Sie später erhalten.« Aus dem Telephonhörer drang eine Flut von Worten, aber Harlow nahm keine Notiz davon. Als hätte der andere gar nichts gesagt, fuhr Harlow fort: »Ich sage es nicht zweimal. Ich weiß, daß jeder Notruf auf Tonband gespeichert wird, es hat also keinen Sinn, mich festhalten, bis Ihre Leute hier sind.« Er legte den Hörer auf.
Rory packte ihn am Arm, und keuchte verzweifelt: »Sie haben Ihre Informationen erhalten. Die drei Minuten sind noch nicht um. Sie haben immer noch Zeit, Neubauer die Tablette wieder aus dem Mund zu nehmen.«
»Ach ja, ich habe ganz vergessen, es dir zu sagen.« Harlow ließ vier der übriggebliebenen Tabletten wieder in die kleine Flasche fallen und hielt die fünfte hoch. »Acetylsalicylsäure. Aspirin. Deshalb habe ich ihm auch den Mund zugeklebt. Schließlich wollte ich nicht, daß er seine Kumpane davon unterrichtet, daß ich ihm lediglich ein Aspirin gegeben hatte. Und das hätte er unweigerlich getan, denn es gibt in der westlichen Hemisphäre wohl kein menschliches Wesen, das den Geschmack von Aspirin nicht kennt. Schau ihn dir an. Er hat keine Angst mehr. Er ist lediglich halb verrückt vor Wut.« Er nahm die Handtasche der Blondine und schaute sie an: »Wir werden sie uns vorübergehend leihen. Für ungefähr fünfzehn bis zwanzig Jahre – je nachdem, für welches Strafmaß sich der Richter entscheidet.«
Sie verließen den Kellerraum, verschlossen und verriegelten die Tür hinter sich, nahmen den Schlüssel für das Parktor vom dem Tischchen in der Halle, liefen durch die offene Eingangstür hinaus und die Einfahrt hinunter, schlossen das Tor auf und öffneten die Flügel so weit es ging. Harlow zog Rory in den Schatten eines Kiefernwäldchens.
»Wie lange bleiben wir hier?« fragte Rory.
»Nur so lange, bis wir sicher wissen, daß zuerst die richtigen Leute kommen.«
Sekunden später hörten sie das klagende Heulen näherkommender Sirenen. Kurz darauf rasten zwei Polizeiwagen mit heulenden Sirenen und blitzendem Blaulicht an ihnen vorbei durch das Parktor. Als sie vor dem Haus hielten, spritzte der Kies wie ein Vorhang hoch. Mindestens sieben Polizisten sprangen aus den Wagen und hasteten durch die offene Tür ins Haus. Trotz Harlows Aussage, daß die Verbrecher bewegungsunfähig seien, hielten sie es offenbar doch für sicherer, sich ihnen mit gezogenen Pistolen zu nähern.
»So, das wär's. Mehr wollte ich nicht wissen.«
Fünfzehn Minuten später saß Harlow wieder einmal in einem der bequemen Sessel in Giancarlos Labor. Giancarlo blätterte einen ganzen Stoß Papiere durch und stieß einen langen Seufzer aus.
»Sie führen wirklich ein interessantes Leben, John. Sie haben uns heute Nacht einen großen Dienst erwiesen. Die drei Männer, von denen Sie erzählt haben, sind tatsächlich die berüchtigten Gebrüder Marzio. Es wird allgemein angenommen, daß sie
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