Dem Tod auf der Spur
nicht zu erklären. Immerhin wurde es von den damaligen Koryphäen der Rechtsmedizin erstellt. Dafür spricht auch, dass die Obduktion auf dem Truppenübungsplatz in Zossen durchgeführt wurde und nicht wie üblich im direkt an das polizeiliche Leichenschauhaus angegliederten Obduktionstrakt des Instituts für Rechtsmedizin in Berlin-Mitte: Außerhalb ihres Instituts konnten die beiden Rechtsmediziner vom Militär besser unter Druck gesetzt werden.
Reichswehrminister Noske wollte endlich der aufgebrachten Öffentlichkeit eine Leiche präsentieren und sie schnell begraben lassen. Wenn er also persönlich verfügte, dass es sich bei dieser Leiche um Rosa Luxemburg zu handeln hatte – und dass auch noch in einer Zeit, in der täglich Dutzende regimekritischer oder einfach unliebsamer Menschen vom Militär erschossen wurden (die übrigens allesamt ebenfalls im Leichenschauhaus in der Hannoverschen Straße eingeliefert wurden) –, dann tat jeder Obduzent gut daran, sich dieser Maßgabe nicht zu widersetzen.
Mathilde Jacob, enge Vertraute, Freundin und Sekretärin Rosa Luxemburgs, versuchte damals nach eigener Aussage vergeblich, Ärzte ihres Vertrauens zur Obduktion in Zossen hinzuzuziehen. In ihren Erinnerungen schreibt sie: »Zwei Ärzte bat ich vergeblich, mit den Offizieren nach Zossen zu fahren. Sie fürchteten um ihr Leben, sicher aber mussten sie mit politischer Verfolgung rechnen, wenn sie sich zur Verfügung stellten.«
Obduktionsort sowie die Kürze des Protokolls erhärten den Verdacht, dass hier etwas nicht stimmt. Der verstärkt sich bei näherer Betrachtung zur Gewissheit. Sehen Sie selbst:
Die äußere Leichenschau vor Beginn der eigentlichen Obduktion, die in jedem Obduktionsfall, damals wie heute, die für die Identifizierung wichtigen körperlichen Merkmale dokumentiert, umfasst gerade mal 26 Zeilen. Eine Dokumentation des Zahnstatus unterbleibt zum Beispiel völlig (es heißt lediglich: »Die Zähne sind gelockert, zum Teil fehlen sie ganz. Ein kleines Stück des Zahnfaches rechts oben neben der Mittellinie ist quer eingebrochen.« Es wird ein 146 cm messender weiblicher Leichnam beschrieben (Rosa Luxemburg hatte eine Körpergröße von 150 cm), der weit fortgeschrittene Fäulnisveränderungen aufweist. Es sind außerdem keinerlei sichtbare Verletzungen vorhanden (»Hals und Rumpf ohne Verletzungsspuren, desgleichen die Glieder«). Interessanterweise heißt es weiter explizit: »Eine messbare Verkürzung der Beine besteht nicht.« Von Rosa Luxemburg ist aber ein Hüftleiden, eine Beinlängendifferenz mit Nachziehen eines Beines und ein insgesamt auffälliger »lahmender« oder »watschelnder« Gang historisch belegt.
Wesentlicher Befund der inneren Leichenschau nach dem Öffnen der Kopfhöhle ist eine Fraktur der Schädelbasis. (»An der knöchernen Schädelgrundfläche erkennt man einen durch die linke und rechte mittlere Schädelgrube und den Türkensattel hindurchziehenden Bruch, durch den die vordere von der hinteren Seite getrennt ist.«) In dem Obduktionsprotokoll wird explizit herausgearbeitet, dass sowohl das Schädeldach als auch die harte Hirnhaut unverletzt sind. (»Das knöcherne Schädeldach ist von regelmäßiger Form, außen und innen unversehrt«; »Die harte Hirnhaut, von außen schmutziggrau, sackförmig, ohne Verletzungsspuren.«)
Das Obduktionsprotokoll vom 3. Juni 1919 schließt mit Angaben zur Todesursache und zur Rekonstruktion wie folgt: »Bei der fortgeschrittenen Fäulnis hat sich die Todesursache durch die Leichenöffnung nicht sicher feststellen lassen. Doch spricht der Befund dafür, dass der Tod infolge einer schweren Verletzung der Schädelbasis eingetreten ist (…) Verletzungen, die mit Sicherheit auf Kolbenschläge zurückzuführen sind, hat die Leichenöffnung nicht ergeben. Die Verstorbene hatte eine mäßige alte Wirbelsäulenverkrümmung. Ursachen einer eigentlichen Lahmheit haben wir nicht gefunden. Ebenso nicht für einen watschelnden Gang. Die Leiche hat mindestens zwei Monate im Wasser gelegen, kann aber sehr wohl auch viereinhalb Monate oder länger gelegen haben.«
Angaben zur Identität der Leiche kommen in diesem ursprünglichen Obduktionsbericht nicht vor. Die Tote wird als unbekannte weibliche Frauenleiche behandelt, der Name Rosa Luxemburgs taucht in diesem Schriftstück nirgendwo auf. Ebenso wenig gibt es, wie wir gesehen haben, positive Hinweise, die eine nachfolgende Identifizierung des Leichnams als Rosa Luxemburg zulassen. Nein, im
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