Dem Tod auf der Spur
Charakteristika einer typischen Moorleiche.
Ein anderes Phänomen der natürlichen Mumifizierung sind die sogenannten Permafrostleichen. Kommt ein Mensch in einem Perma- oder Dauerfrostgebiet (z.B. große Teile Sibiriens, Nordkanadas oder Alaskas) zu Tode, wird durch Sublimation – den direkten Übergang von »fest« in »gasförmig« ohne den Umweg über »flüssig« – und Verdunstung das Gewebewasser an die kalte Umgebungsluft abgegeben. Der niedrige Luftdruck und die trockene Umgebung, wie sie in Hochgebirgen üblich sind, erhöhen zudem den Dampfdruck auf das Wasser, das so schneller entweichen kann. Die Leiche wird sozusagen »gefriergetrocknet«. Ist die Feuchtigkeit aus dem Organismus entwichen, wird der Prozess der Leichenfäulnis sehr stark verlangsamt, wobei Fäulnis und Verwesung bei Temperaturen unterhalb des Gefrierpunktes ohnehin so gut wie gar nicht mehr stattfinden. Teilmumifizierungen von Extremitäten wie Ohren, Nase und Finger sind im Hochgebirge so bereits nach wenigen Monaten möglich.
Diese Permafrostleichen sind jahrtausendelang haltbar. Die oben beschriebene vollständige Austrocknung durch Gefrieren führt dazu, dass diese Leichen auch nach ihrer Bergung jahrzehntelang aufbewahrt werden können und keine sichtbaren chemischen Veränderungen mehr aufweisen.
Möglicherweise haben Sie von den Mammuts aus dem Eis gelesen, deren DNA derzeit von amerikanischen und russischen Forschern anhand von einigen Haarbüscheln entschlüsselt wird. Die Büschel stammen von zwei sibirischen Mammuts, von denen das eine rund 20.000 Jahre, das andere sogar 60.000 Jahre im Eis gelegen hat. Haare sind eine sehr gute Quelle für jahrtausendealte DNA, weil sie meist weniger mit Pilzen oder Bakterien besiedelt sind als z.B. das Weichgewebe der Haut oder die inneren Organe. Auch wenn die Wissenschaft noch nicht so weit ist, dass sie aus dieser DNA Mammuts klonen könnte – ein Gedanke, der noch vor 20 Jahren völlig abwegig war –, erscheint dieser Schritt für die nahe Zukunft nicht unmöglich. Ein Urwelt-Zoo à la »Jurassic-Park« könnte dann Realität werden.
Der Fall Rosa Luxemburg
Zugegeben, dieser Fall fällt etwas aus dem Rahmen. Nicht nur weil er nachträglich in das Buch aufgenommen wurde, sondern auch weil dieser Fall ganz und gar nicht typisch für meinen Alltag in der Rechtsmedizin ist. Aber »Der Fall Rosa Luxemburg« zeigt sehr anschaulich die Möglichkeiten der Rechtsmedizin, und das bei einem neunzig Jahre zurückliegenden Mordfall. Zudem schließt er unmittelbar an das ursprünglich letzte Kapitel »Erhalten für die Ewigkeit« an.
Die Brisanz der späten Entdeckungen zum Fall Rosa Luxemburg wurde in Fernsehen, Funk und Presse schon ausreichend gewürdigt. Hier innerhalb der erweiterten Ausgabe dieses Buches geht es mir darum, zu zeigen, wie die Methoden der Rechtsmedizin im Kontext dieses nicht nur historisch spektakulären Falles funktionieren – was sie leisten können und was nicht.
Nachdem ich im Januar 2007 als Direktor der rechtsmedizinischen Institute nach Berlin berufen worden war, beschäftigte ich mich im Rahmen einer geplanten Ausstellung zur Rechtsmedizin intensiv mit den Sammlungsstücken, die teilweise seit vielen Jahrzehnten in den beiden Instituten lagerten.
In mehreren Kellergewölben hatten sich, verstaubtund über lange Zeit völlig unbeachtet, einige Hundert Exponate aus der über 170-jährigen Geschichte der Berliner Rechtsmedizin angesammelt. Es ist ein Lagerraum der anderen Art. Auf Reihen von Regalen stehen unzählige Gefäße, in denen zum Beispiel in Formalin eingelegte Körperteile und Organe aufbewahrt sind, darunter abgetrennte Hände mit Abwehrverletzungen und von Fleischbrocken verstopfte Kehlköpfe. Neben diesen sogenannten Feuchtpräparaten lagern dort auch Trockenpräparate – etwa mumifizierte Köpfe oder Oberschenkelknochen – sowie die sterblichen Überreste von Föten und Neugeborenen. Auch Tatwerkzeuge wie Äxte, Elektrokabel und sogar selbstgebaute Apparate sind hier sorgsam verwahrt.
Alle diese Sammlungsstücke waren sauber dokumentiert mit Eingangs- oder Sektionsnummer und Jahreszahl.
Doch selbst innerhalb dieses ungewöhnlichen Archivbestands ragte ein Exponat besonders heraus: ein durch Fettwachs konservierter Frauenleichnam (die Fettwachsbildung ist in dem Kapitel »Erhalten für die Ewigkeit« ausführlich beschrieben.).
Im Gegensatz zu allen anderen Sammlungsstücken konnte die Herkunft dieser Leiche nicht zurückverfolgt
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