Dem Winde versprochen
gehörte nicht zu der Klasse von Leuten, die dort verkehrten. Sie verachteten sie, weil sie sich um die Sklaven kümmerte, und sie würden sie erst recht verachten, wenn sie erführen, dass sie sich mit dem Grafen von Stoneville eingelassen hatte. Außerdem fand sie das blaue Kleid, das Miora am Tag fertiggestellt hatte, viel zu gewagt. Sie befürchtete, es könnte bei der ersten jähen Bewegung reißen. Und sie bewegte sich nun mal alles andere als grazil, das hatte ihre Mutter immer gesagt. Tanzen konnte sie auch nicht, was sie zur Zielscheibe des Spotts und der Anfeindungen von Blackravens Freunden machen würde.
Sie legte sich auf ihr Bett und versuchte, ein wenig zu schlafen. Sie wurde von einer Hand geweckt, die über ihre Stirn strich.
»Isaura«, sagte Blackraven, und Trinaghanta zog die Vorhänge auf, um das Licht hereinzulassen.
»Roger«, seufzte Melody und ließ die Lider wieder zufallen. »Was machen die Kinder? Ich muss ihnen ihre Kleider herauslegen und sie kämmen.«
»Keine Sorge, Señorita Leonilda kümmert sich um alles. Schau mal, wer gekommen ist, um dich zu besuchen.«
»Sie verwöhnen sie zu sehr, Exzellenz. Sie hat sich schon auf die faule Haut gelegt, wie ich sehe.«
»Madame!«, rief Melody aus und sprang aus dem Bett.
»Meine Kleine!«
»Ich lasse Sie allein«, sagte Blackraven und bedeutete Trinaghanta, ihn hinauszubegleiten.
Melody rückte den Stuhl vom Frisiertisch an das Bett für Madame Odile, sie selbst setzte sich auf die Bettkante.
»Was für ein wunderbarer Ring. Der muss ihn ein Vermögen gekostet haben.«
»Sie kommen wie gerufen«, sagte Melody hoch erfreut. »Heute brauche ich Sie.«
»Er hat mir heute Morgen diese Nachricht geschickt.« Melody hob die Augenbrauen. »Ich werde sie dir vorlesen, sie ist auf Französisch.«
Die großen, leicht nach rechts geneigten Schriftzüge kündeten von der Stärke und der Entschlusskraft des Schreibenden. Auf dem Siegel erkannte sie den doppelköpfigen Adler von dem im Arbeitszimmer hängenden Wappen. Madame nahm den Brief und las ihn vor.
»Werte Dame, ich hoffe, Sie befinden sich bei bester Gesundheit, wenn Sie diese Grüße lesen. Ich schreibe Ihnen, um Sie zu bitten, uns heute Nachmittag in El Retiro zu besuchen. Meine geliebte Isaura braucht Sie. Ihr ergebener Blackraven. PS : Meine Kutsche wird Sie gegen drei abholen und auch wieder zurückfahren.« Sie faltete den Brief zusammen und steckte ihn in ihre Tasche. »Ach, Liebes, du hast so viel Glück gehabt, dass du einem Mann wie deinem Roger begegnet bist. Sag, warum brauchst du mich? Was ist passiert?« Sie sah sie eindringlich an und kniff die Augen zusammen. »Du bist jetzt eine Frau. Seine Frau.«
»Sieht man mir das an?«, fragte Melody ein wenig verzagt und legte die Hände auf die glühenden Wangen.
»Nur eine Frau wie ich merkt so etwas, Liebes. Lass den Kopf nicht hängen, keinem sonst wird das auffallen. Geht es dir gut? Wie fühlst du dich?«
»Seltsam, Madame. Er hat Sachen mit mir gemacht, die nicht
einmal Sie billigen würden, obwohl Sie bestimmt keine Vorurteile haben.«
»Das bezweifele ich«, winkte Madame ab. »Ich würde alles billigen, was ein Mann wie er mit mir macht. Liebes, du musst verstehen, zwischen einem Mann und einer Frau ist alles erlaubt, solange beide es wollen und keiner dabei zu Schaden kommt.«
»Meine Mutter wäre da ganz anderer Ansicht gewesen.«
»Wir haben schon darüber gesprochen, dass deine Mutter eine traurige, verbitterte Frau war. Und jetzt vergiss deine Mutter und die anderen und sag mir: Wie hast du dich gefühlt? Warst du glücklich in seinen Armen?«
Melody errötete noch mehr, und ihre Augen strahlten.
»Sehr glücklich, Madame. Aber es hat auch wehgetan.«
»Das ist normal am Anfang. Du wirst immer mehr Vertrauen fassen, und es wird nicht mehr wehtun. Du musst dich diesem Mann blind hingeben. Hör auf mich. Er betet dich an, Melody. Ich habe selten einen Mann von seinem Format gesehen, der eine Frau so ehrerbietig ansieht wie er dich. Ich möchte fast sagen, du bist die erste Frau, die Blackraven wirklich liebt.«
Melody dachte über diese Worte nach. Blackraven hatte ihr zwar gesagt, dass er noch nie jemanden so geliebt hatte wie sie, doch es kam ihr unwahrscheinlich vor, dass ein Mann wie er, der manchmal reines Feuer war, noch nie zuvor so intensiv empfunden haben sollte.
»Heute gibt es eine Soirée.«
»Der Herrscher hat es mir im Hinaufgehen gesagt. Er sagte, es sei sein Wunsch, dass ich dir Mut mache
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