Dem Winde versprochen
›mita‹, die Sklavenarbeit der Indios, angeprangert.
Moreno hatte einen ausgesprochen scharfen Verstand. Während der ersten Hälfte hatte er nur da gesessen wie eine Sphinx, aber als er dann sprach, legte er einen nahezu jakobinischen Fanatismus an den Tag. Er beklage sich über die Tatenlosigkeit und die Korruptheit der spanischen Beamten.
»Wir müssen den Übergriffen der Verwaltung ein Ende machen und uns an diesen Küsten ganz neu orientieren. Wir brauchen
einen gesellschaftlichen Wandel, der an der Vernunft orientiert ist, so wie es unserer Natur entspricht. Wir müssen den brachliegenden öffentlichen Geist aufrütteln und ihm die Vorstellung eines Landes ohne Ketten nahebringen. Die Bildung des Volkes ist, wie Doktor Belgrano sagte, von zentraler Bedeutung. Mit unwissenden, ungesitteten Gefolgsleuten werden wir nichts erreichen.«
Altolaguirres Frau, die genug von den politischen Themen hatte, berichtete über die Ereignisse in der Real Compañía de Filipinas.
»Man munkelt, der Schwarze Engel habe den Überfall auf die Baracke begangen«, sagte Melchora Sarratea.
»Der Schwarze Engel?«, fragte Blackraven interessiert. Der Name kam ihm bekannt vor.
»Das wundert mich jetzt aber, Exzellenz«, erwiderte Melchora. »Der Schwarze Engel ist die Hauslehrerin Ihres Mündels, des kleinen Víctor.«
Altolaguirre ging sofort dazwischen.
»Was redest du denn da! Dass Miss Melody sich um das Wohl der Sklaven bemüht, macht sie noch nicht zu einer Verbrecherin. Sie ist eine Dame!«
»Eine Dame, die wie ein Mann reitet«, sagte Melchora spöttisch.
»Was ist denn bei der Real Compañía genau geschehen? Und wann?«
»Haben Sie es denn nicht in der Zeitung gelesen?«, fragte Vieytes.
»Bedaure. Aber ich bin erst vor ein paar Tagen angekommen und hatte noch keine Zeit, die Zeitungen zu studieren.«
»Donnerstag Nacht oder besser gesagt in den frühen Morgenstunden des Freitag hat eine Gruppe die Real Compañía am Riachuelo überfallen, die Brenneisen gestohlen und eine Baracke in Brand gesteckt. Zuvor hatten sie mehrere Sklaven freigelassen.
Die Wachen waren aufmerksam geworden und haben den Brand schnell unter Kontrolle bekommen. Doch die Angreifer waren geschickt und konnten fliehen.«
Blackraven hörte mit halbem Ohr hin und musste an Isaura Maguire und ihren Teufelsritt denken. Bevor er sich verabschiedete, gelang es Blackraven, zu Nicolás Rodríguez Peña in der Calle Las Torres eingeladen zu werden, wo sich die Anhänger der Unabhängigkeit trafen. Mariano Moreno bat darum, ihn in El Retiro besuchen zu dürfen.
»Ich übersetze zurzeit Rousseaus
Gesellschaftsvertra
g«, sagte er, »und da Sie die französische Sprache bestimmt perfekt beherrschen, möchte ich Sie gerne um Ihre Hilfe bei einigen verzwickten Stellen bitten.«
»Es ist mir eine Freude, Sie morgen zu empfangen. Aber in meinem Stadthaus, in der Calle San José 59 . Zum Mittagessen, wäre Ihnen das recht? Und danach gehen wir die Stellen durch.«
Blackraven ritt zurück zu seinem Gut, übergab das Pferd einem Sklaven und trat in das Haus. Schon von draußen hatte er die Klaviermusik gehört, jetzt vernahm er auch Stimmen und Gelächter.
Er blieb im Türrahmen stehen und beobachtete Melody, Víctor und Jimmy am Klavier, die versuchten, eine schnelle Melodie aus der Oper
Salomon
von Händel zu spielen. Meldoy saß zwischen den Kindern, amüsierte sich über deren Fehler und korrigierte sie, ohne ihr Spiel zu unterbrechen. Víctor spielte die tiefen Töne und Jimmy die hohen, während Melodys Finger über die mittleren Tasten flogen.
»Los, noch einmal von vorn«, forderte sie sie auf, und das fröhliche Stück begann von Neuem.
»Diesmal hat Jimmy sich verspielt!«, beschwerte sich Víctor.
»Nein, du warst es!«
Sie kamen zum Schlussteil, den sie fehlerfrei spielten. Blackraven konnte von seinem Platz aus nicht sehen, wer applaudierte, aber er erkannte die Stimme von Bruno Covarrubias. Wenig später ging Covarrubias auf das Klavier zu, wo er nochmals applaudierte. Melodys Gesicht war gerötet, die Kinder lachten.
»Eine ausgezeichnete Interpretation von ›Die Ankunft der Königin von Saba‹, Miss Melody! Glückwunsch!«, sagte er und legte seine Hände auf die Köpfe der Jungen. »Señorita Leonilda meinte, niemand würde die Arie
Voi, che sapete
so singen wie Sie. Würden Sie uns die Freude machen? Es wäre mir eine Ehre.«
Melody nickte, und die Kinder überließen ihr das Klavier. Die ersten Klänge ertönten, und
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