Demian
diese wenig feine Art war es mir beschieden, einsam zu werden und zwischen mich und die Kindheit ein verschlossenes Edentor mit erbarmungslos strahlenden Wächtern zu bringen. Es war ein Beginn, ein Erwachen des Heimwehs nach mir selber.
Ich erschrak noch und hatte Zuckungen, als zum erstenmal, durch Briefe meines Pensionsherrn alarmiert, mein Vater in St. erschien und mir unerwartet gegenübertrat. Als er, gegen Ende jenes Winters, zum zweitenmal kam, war ich schon hart und gleichgültig, ließ ihn schelten, ließ ihn bitten, ließ ihn an die Mutter erinnern. Er war zuletzt sehr aufgebracht und sagte, wenn ich nicht anders werde, lasse er mich mit Schimpf und Schande von der Schule jagen und stecke mich in eine Besserungsanstalt. Mochte er! Als er damals abreiste, tat er mir leid, aber er hatte nichts erreicht, er hatte keinen Weg mehr zu mir gefunden, und für Augenblicke fühlte ich, es geschehe ihm recht. –
Was aus mir würde, war mir einerlei. Auf meine sonderbare undwenig hübsche Art, mit meinem Wirtshaussitzen und Auftrumpfen lag ich im Streit mit der Welt, dies war meine Form zu protestieren. Ich machte mich dabei kaputt, und zuweilen sah für mich die Sache etwa so aus: wenn die Welt Leute wie mich nicht brauchen konnte, wenn sie für sie keinen bessern Platz, keine höhern Aufgaben hatte, nun, so gingen Leute wie ich eben kaputt. Mochte die Welt den Schaden haben.
Die Weihnachtsferien jenes Jahres waren recht unerfreulich. Meine Mutter erschrak, als sie mich wiedersah. Ich war noch mehr gewachsen, und mein hageres Gesicht sah grau und verwüstet aus, mit schlaffen Zügen und entzündeten Augenrändern. Der erste Anflug des Schnurrbartes und die Brille, die ich seit kurzem trug, machten mich ihr noch fremder. Die Schwestern wichen zurück und kicherten. Es war alles unerquicklich. Unerquicklich und bitter das Gespräch mit dem Vater in dessen Studierzimmer, unerquicklich das Begrüßen der paar Verwandten, unerquicklich vor allem der Weihnachtsabend. Das war, seit ich lebte, in unsrem Hause der große Tag gewesen, der Abend der Festlichkeit und Liebe, der Dankbarkeit, der Erneuerung des Bundes zwischen den Eltern und mir. Diesmal war alles nur bedrückend und verlegenmachend. Wie sonst las mein Vater das Evangelium von den Hirten auf dem Felde, »die hüteten allda ihre Herde«, wie sonst standen die Schwestern strahlend vor ihrem Gabentisch, aber die Stimme des Vaters klang unfroh, und sein Gesicht sah alt und beengt aus, und die Mutter war traurig, und mir war alles gleich peinlich und unerwünscht, Gaben und Glückwünsche, Evangelium und Lichterbaum. Die Lebkuchen rochen süß und strömten dichte Wolken süßerer Erinnerungen aus. Der Tannenbaum duftete und erzählte von Dingen, die nicht mehr waren. Ich sehnte das Ende des Abends und der Feiertage herbei.
Es ging den ganzen Winter so weiter. Erst vor kurzem war ich eindringlich vom Lehrersenat verwarnt und mit dem Ausschluß bedroht worden. Es würde nicht lange mehr dauern. Nun, meinetwegen. Einen besonderen Groll hatte ich gegen Max Demian. Den hatte ich nun die ganze Zeit nicht mehr gesehen. Ich hatte ihm, am Beginn meiner Schülerzeit in St., zweimal geschrieben, aber keine Antwort bekommen; darum hatte ich ihn auch in den Ferien nicht besucht.
In demselben Park, wo ich im Herbst mit Alfons Beck zusammengetroffen war, geschah es im beginnenden Frühling, als eben die Dornhecken grün zu werden anfingen, daß ein Mädchen mir auffiel. Ich war allein spazierengegangen, voll von widerlichen Gedanken und Sorgen, denn meine Gesundheit war schlecht geworden, und außerdem war ich beständig in Geldverlegenheiten, war Kameraden Beträge schuldig, mußte notwendige Ausgaben erfinden, um wieder etwas von Hause zu erhalten, und hatte in mehreren Läden Rechnungen für Zigarren und ähnliche Dinge anwachsen lassen. Nicht daß diese Sorgen sehr tief gegangen wären – wenn nächstens einmal mein Hiersein sein Ende nahm und ich ins Wasser ging oder in die Besserungsanstalt gebracht wurde, dann kam es auf diese paar Kleinigkeiten auch nimmer an. Aber ich lebte doch immerzu Aug’ in Auge mit solchen unschönen Sachen und litt darunter.
An jenem Frühlingstag im Park begegnete mir eine junge Dame, die mich sehr anzog. Sie war groß und schlank, elegant gekleidet und hatte ein kluges Knabengesicht. Sie gefiel mir sofort, sie gehörte dem Typ an, den ich liebte, und sie begann meine Phantasien zu beschäftigen. Sie war wohl kaum viel älter als ich, aber
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