Demian
und unangenehmen Sonderling in mir. Ich gefiel mir in der Rolle, übertrieb sie noch, und grollte mich in eine Einsamkeit hinein, die nach außen beständig wie männlichste Weltverachtung aussah, während ich heimlich oft verzehrenden Anfällen von Wehmut und Verzweiflung unterlag. In der Schule hatte ich an aufgehäuften Kenntnissen von Zuhause zu zehren, die Klasse war etwas gegen meine frühere zurück, und ich gewöhnte mir an, meine Altersgenossen etwas verächtlich als Kinder anzusehen. Ein Jahr und länger lief das so dahin, auch die ersten Ferienbesuche zu Hause brachten keine neuen Klänge; ich fuhr gerne wieder weg.
Es war zu Beginn des November. Ich hatte mir angewöhnt, bei jedem Wetter kleine, denkerische Spaziergänge zu machen, auf denen ich oft eine Art von Wonne genoß, eine Wonne voll Melancholie, Weltverachtung und Selbstverachtung. So schlenderte ich eines Abends in der feuchten, nebligen Dämmerung durch die Umgebung der Stadt, die breite Allee eines öffentlichen Parkes stand völlig verlassen und lud mich ein, der Weg lag dick voll gefallener Blätter, in denen ich mit dunkler Wollust mit den Füßen wühlte, es roch feucht und bitter, die fernen Bäume traten gespenstisch groß und schattenhaft aus den Nebeln.
Am Ende der Allee blieb ich unschlüssig stehen, starrte in das schwarze Laub und atmete mit Gier den nassen Duft von Verwitterung und Absterben, den etwas in mir erwiderte und begrüßte. O wie fad das Leben schmeckte!
Aus einem Nebenwege kam im wehenden Kragenmantel ein Mensch daher, ich wollte weitergehen, da rief er mich an.
»Halloh, Sinclair!«
Er kam heran, es war Alfons Beck, der Älteste unserer Pension. Ich sah ihn immer gern und hatte nichts gegen ihn, als daß er mit mir wie mit allen Jüngeren immer ironisch und onkelhaft war. Er galt für bärenstark, sollte den Herrn unsrer Pension unter dem Pantoffel haben und war der Held vieler Gymnasiastengerüchte.
»Was machst du denn hier?« rief er leutselig mit dem Ton, den die Größeren hatten, wenn sie gelegentlich sich zu einem von uns herabließen. »Na, wollen wir wetten, du machst Gedichte?«
»Fällt mir nicht ein«, lehnte ich barsch ab.
Er lachte auf, ging neben mir und plauderte, wie ich es gar nicht mehr gewohnt war.
»Du brauchst nicht Angst zu haben, Sinclair, daß ich das etwa nicht verstehe. Es hat ja etwas, wenn man so am Abend im Nebel geht, so mit Herbstgedanken, man macht dann gern Gedichte, ich weiß schon. Von der sterbenden Natur, natürlich, und von der verlorenen Jugend, die ihr gleicht. Siehe Heinrich Heine.« »Ich bin nicht so sentimental«, wehrte ich mich.
»Na, laß gut sein! Aber bei diesem Wetter scheint mir, tut der Mensch gut, einen stillen Ort zu suchen, wo es ein Glas Wein oder dergleichen gibt. Kommst du ein bißchen mit? Ich bin gerade ganz allein. – Oder magst du nicht? Deinen Verführermöchte ich nicht machen, Lieber, falls du ein Musterknabe sein solltest.«
Bald darauf saßen wir in einer kleinen Vorstadtkneipe, tranken einen zweifelhaften Wein und stießen mit den dicken Gläsern an. Es gefiel mir zuerst wenig, immerhin war es etwas Neues. Bald aber wurde ich, des Weines ungewohnt, sehr gesprächig. Es war, als sei ein Fenster in mir aufgestoßen, die Welt schien herein – wie lang, wie furchtbar lang hatte ich mir nichts von der Seele geredet! Ich kam ins Phantasieren, und mitten drinne gab ich die Geschichte von Kain und Abel zum besten!
Beck hörte mir mit Vergnügen zu – endlich jemand, dem ich etwas gab! Er klopfte mir auf die Schulter, er nannte mich einen Teufelskerl, und mir schwoll das Herz hoch auf vor Wonne, angestaute Bedürfnisse der Rede und Mitteilung schwelgerisch hinströmen zu lassen, anerkannt zu sein und bei einem Älteren etwas zu gelten. Als er mich ein geniales Luder nannte, lief mir das Wort wie ein süßer, starker Wein in die Seele. Die Welt brannte in neuen Farben, Gedanken flossen mir aus hundert kecken Quellen zu, Geist und Feuer lohte in mir. Wir sprachen über Lehrer und Kameraden, und mir schien, wir verstünden einander herrlich. Wir sprachen von den Griechen und vom Heidentum, und Beck wollte mich durchaus zu Geständnissen über Liebesabenteuer bringen. Da konnte ich nun nicht mitreden. Erlebt hatte ich nichts, nichts zum Erzählen. Und was ich in mir gefühlt, konstruiert, phantasiert hatte, das saß zwar brennend in mir, war aber auch durch den Wein nicht gelöst und mitteilbar geworden. Von den Mädchen wußte Beck viel mehr, und
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