Demian
tat. Er sagte: »Ich habe den Wunsch, Priester zu werden, das wissen Sie. Ich wollte am liebsten der Priester der neuen Religion werden, von der wir so manche Ahnungen haben. Ich werde es nie sein können – ich weiß es und wußte es, ohne es mir ganz zu gestehen, schon lange. Ich werde eben andere Priesterdienste tun, vielleicht auf der Orgel, vielleicht sonstwie. Aber ich muß immer von etwas umgeben sein, was ich als schön und heilig empfinde, Orgelmusik und Mysterium, Symbol und Mythus, ich brauche das und will nicht davon lassen. – Das ist meine Schwäche. Denn ich weiß manchmal, Sinclair, ich weiß zuzeiten, daß ich solche Wünsche nicht haben sollte, daß sie Luxus und Schwäche sind. Es wäre größer, es wäre richtiger, wenn ich ganz einfach dem Schicksal zur Verfügung stünde, ohne Ansprüche. Aber ich kanndas nicht; es ist das einzige, was ich nicht kann. Vielleicht können Sie es einmal. Es ist schwer, es ist das einzige wirklich Schwere, was es gibt, mein Junge. Ich habe oft davon geträumt, aber ich kann nicht, es schaudert mich davor: ich kann nicht so völlig nackt und einsam stehen, auch ich bin ein armer, schwacher Hund, der etwas Wärme und Futter braucht und gelegentlich die Nähe von seinesgleichen spüren möchte. Wer wirklich gar nichts will als sein Schicksal, der hat nicht seinesgleichen mehr, der steht ganz allein und hat nur den kalten Weltenraum um sich. Wissen Sie, das ist Jesus im Garten Gethsemane. Es hat Märtyrer gegeben, die sich gern ans Kreuz schlagen ließen, aber auch sie waren keine Helden, waren nicht befreit, auch sie wollten etwas, was ihnen liebgewohnt und heimatlich war, sie hatten Vorbilder, sie hatten Ideale. Wer nur noch das Schicksal will, der hat weder Vorbilder noch Ideale mehr, nichts Liebes, nichts Tröstliches hat er! Und diesen Weg müßte man eigentlich gehen. Leute wie ich und Sie sind ja recht einsam, aber wir haben doch noch einander, wir haben die heimliche Genugtuung, anders zu sein, uns aufzulehnen, das Ungewöhnliche zu wollen. Auch das muß wegfallen, wenn einer den Weg ganz gehen will. Er darf auch nicht Revolutionär, nicht Beispiel, nicht Märtyrer sein wollen. Es ist nicht auszudenken –«
Nein, es war nicht auszudenken. Aber es war zu träumen, es war vorzufühlen, es war zu ahnen. Einigemal fühlte ich etwas davon, wenn ich eine ganz stille Stunde fand. Dann blickte ich in mich und sah meinem Schicksalsbild in die offenstarren Augen. Sie konnten voll Weisheit sein, sie konnten voll Wahnsinn sein, sie konnten Liebe strahlen oder tiefe Bosheit, es war einerlei. Nichts davon durfte man wählen, nichts durfte man wollen. Man durfte nur sich wollen, nur sein Schicksal. Dahin hatte mir Pistorius eine Strecke weit als Führer gedient.
In jenen Tagen lief ich wie blind umher, Sturm brauste in mir, jeder Schritt war Gefahr. Ich sah nichts als die abgründige Dunkelheit vor mir, in welche alle bisherigen Wege verliefen und hinabsanken. Und in meinem Innern sah ich das Bild des Führers, der Demian glich und in dessen Augen mein Schicksal stand. Ich schrieb auf ein Papier: »Ein Führer hat mich verlassen. Ich stehe ganz im Finstern. Ich kann keinen Schritt allein tun. Hilf mir!«
Das wollte ich an Demian schicken. Doch unterließ ich es; es sah jedesmal, wenn ich es tun wollte, läppisch und sinnlos aus. Aber ich wußte das kleine Gebet auswendig und sprach es oft in mich hinein. Es begleitete mich jede Stunde. Ich begann zu ahnen, was Gebet ist.
Meine Schulzeit war zu Ende. Ich sollte eine Ferienreise machen, mein Vater hatte sich das ausgedacht, und dann sollte ich zur Universität gehen. Zu welcher Fakultät, das wußte ich nicht. Es war mir ein Semester Philosophie bewilligt. Ich wäre mit allem andern ebenso zufrieden gewesen.
Siebentes Kapitel
FRAU EVA
In den Ferien ging ich einmal zu dem Hause, in welchem vor Jahren Max Demian mit seiner Mutter gewohnt hatte. Eine alte Frau spazierte im Garten, ich sprach sie an und erfuhr, daß ihr das Haus gehöre. Ich fragte nach der Familie Demian. Sie erinnerte sich ihrer gut. Doch wußte sie nicht, wo sie jetzt wohnten. Da sie mein Interesse spürte, nahm sie mich mit ins Haus, suchte ein ledernes Album hervor und zeigte mir eine Photographie von Demians Mutter. Ich konnte mich ihrer kaum mehr erinnern. Aber als ich nun das kleine Bildnis sah, blieb mir der Herzschlag stehen. – Das war mein Traumbild! Das war sie, die große, fast männliche Frauenfigur, ihrem Sohne ähnlich, mit Zügen von
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