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Demian

Demian

Titel: Demian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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ich, in mir drinnen, selber tun. Er hätte gelächelt, wenn er gekonnt hätte. Daß er es nicht konnte, daran sah ich am besten, wie sehr ich ihn getroffen hatte.
    Und indem Pistorius den Schlag von mir, von seinem vorlauten und undankbaren Schüler, so lautlos hinnahm, indem er schwieg und mir Recht ließ, indem er mein Wort als Schicksal anerkannte, machte er mich mir selbst verhaßt, machte er meine Unbesonnenheit tausendmal größer. Als ich zuschlug, hatte ich einen Starken und Wehrhaften zu treffen gemeint – nun war esein stiller, duldender Mensch, ein Wehrloser, der sich schweigend ergab.
    Lange Zeit blieben wir vor dem verglimmenden Feuer liegen, in dem jede glühende Figur, jeder sich krümmende Aschenstab mir glückliche, schöne, reiche Stunden ins Gedächtnis rief und die Schuld meiner Verpflichtung gegen Pistorius größer und größer anhäufte. Zuletzt ertrug ich es nicht mehr. Ich stand auf und ging. Lange stand ich vor seiner Tür, lange auf der finsteren Treppe, lange noch draußen vor dem Hause wartend, ob er vielleicht käme und mir nachginge. Dann ging ich weiter und lief Stunden um Stunden durch Stadt und Vorstädte, Park und Wald, bis zum Abend. Und damals spürte ich zum erstenmal das Zeichen Kains auf meiner Stirn.
    Nur allmählich kam ich zum Nachdenken. Meine Gedanken hatten alle die Absicht, mich anzuklagen und Pistorius zu verteidigen. Und alle endeten mit dem Gegenteil. Tausendmal war ich bereit, mein rasches Wort zu bereuen und zurückzunehmen – aber wahr war es doch gewesen. Erst jetzt gelang es mir, Pistorius zu verstehen, seinen ganzen Traum vor mir aufzubauen. Dieser Traum war gewesen, ein Priester zu sein, die neue Religion zu verkünden, neue Formen der Erhebung, der Liebe und Anbetung zu geben, neue Symbole aufzurichten. Aber dies war nicht seine Kraft, nicht sein Amt. Er verweilte allzu warm im Gewesenen, er kannte allzu genau das Ehemalige, er wußte allzu viel von Ägypten, von Indien, von Mithras, von Abraxas. Seine Liebe war an Bilder gebunden, welche die Erde schon gesehen hatte, und dabei wußte er im Innersten selber wohl, daß das Neue neu und anders sein, daß es aus frischem Boden quellen und nicht aus Sammlungen und Bibliotheken geschöpft werden mußte. Sein Amt war vielleicht, Menschen zu sich selbst führen zu helfen, wie er es mit mir getan hatte. Ihnen das Unerhörte zu geben, die neuen Götter, war sein Amt nicht.
    Und hier brannte mich plötzlich wie eine scharfe Flamme die Erkenntnis: – es gab für jeden ein »Amt«, aber für keinen eines, das er selber wählen, umschreiben und beliebig verwalten durfte. Es war falsch, neue Götter zu wollen, es war völlig falsch, der Welt irgend etwas geben zu wollen! Es gab keine, keine, keine Pflicht für erwachte Menschen als die eine: sich selber zu suchen, in sich fest zu werden, den eigenen Weg vorwärts zutasten, einerlei wohin er führte. – Das erschütterte mich tief, und das war die Frucht dieses Erlebnisses für mich. Oft hatte ich mit Bildern der Zukunft gespielt, ich hatte von Rollen geträumt, die mir zugedacht sein könnten, als Dichter vielleicht oder als Prophet, oder als Maler, oder irgendwie. All das war nichts. Ich war nicht da, um zu dichten, um zu predigen, um zu malen, weder ich noch sonst ein Mensch war dazu da. Das alles ergab sich nur nebenher. Wahrer Beruf für jeden war nur das eine: zu sich selbst zu kommen. Er mochte als Dichter oder als Wahnsinniger, als Prophet oder als Verbrecher enden – dies war nicht seine Sache, ja dies war letzten Endes belanglos. Seine Sache war, das eigene Schicksal zu finden, nicht ein beliebiges, und es in sich auszuleben, ganz und ungebrochen. Alles andere war halb, war Versuch zu entrinnen, war Rückflucht ins Ideale der Masse, war Anpassung und Angst vor dem eigenen Innern. Furchtbar und heilig stieg das neue Bild vor mir auf, hundertmal geahnt, vielleicht oft schon ausgesprochen, und doch erst jetzt erlebt. Ich war ein Wurf der Natur, ein Wurf ins Ungewisse, vielleicht zu Neuem, vielleicht zu Nichts, und diesen Wurf aus der Urtiefe auswirken zu lassen, seinen Willen in mir zu fühlen und ihn ganz zu meinem zu machen, das allein war mein Beruf. Das allein! Viel Einsamkeit hatte ich schon gekostet. Nun ahnte ich, daß es tiefere gab, und daß sie unentrinnbar sei.
    Ich machte keinen Versuch, Pistorius zu versöhnen. Wir blieben Freunde, aber das Verhältnis war geändert. Nur ein einziges Mal sprachen wir darüber, oder eigentlich nur er war es, der es

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