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Demian

Demian

Titel: Demian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Nähe gewesen. Aus ihm hatte Gott zu mir gesprochen. Aus seinem Munde waren meine Träume mir zurückgekehrt, geklärt und gedeutet. Er hatte mir den Mut zu mir selber geschenkt. – Ach, und nun spürte ich langsam anwachsend Widerstände gegen ihn. Ich hörte zu viel Belehrendes in seinen Worten, ich empfand, daß er nur einen Teil von mir ganz verstehe.
    Es gab keinen Streit, keine Szene zwischen uns, keinen Bruch und nicht einmal eine Abrechnung. Ich sagte ihm nur ein einziges, eigentlich harmloses Wort – aber es war doch eben derAugenblick, in dem zwischen uns eine Illusion in farbige Scherben zerfiel.
    Gedrückt hatte die Vorausahnung mich schon eine Weile, zum deutlichen Gefühl wurde sie eines Sonntags in seiner alten Gelehrtenstube. Wir lagen am Boden vor dem Feuer, und er sprach von Mysterien und Religionsformen, die er studierte, an denen er sann, und deren mögliche Zukunft ihn beschäftigte. Mir aber schien dies alles mehr kurios und interessant als lebenswichtig, es klang mir Gelehrsamkeit, es klang mir müdes Suchen unter Trümmern ehemaliger Welten daraus entgegen. Und mit einem Male spürte ich einen Widerwillen gegen diese ganze Art, gegen diesen Kultus der Mythologien, gegen dieses Mosaikspiel mit überlieferten Glaubensformen.
    »Pistorius«, sagte ich plötzlich, mit einer mir selber überraschend und erschreckend hervorbrechenden Bosheit, »Sie sollten mir wieder einmal einen Traum erzählen, einen wirklichen Traum, den Sie in der Nacht gehabt haben. Das, was Sie da reden, ist so – so verflucht antiquarisch!«
    Er hatte mich niemals so reden hören, und ich selbst empfand im selben Augenblick blitzhaft mit Scham und Schrecken, daß der Pfeil, den ich auf ihn abschoß, und der ihn ins Herz traf, aus seiner eigenen Rüstkammer genommen war – daß ich Selbstvorwürfe, die ich ihn in ironischem Ton gelegentlich hatte äußern hören, nun boshaft ihm in zugespitzter Form zuwarf.
    Er spürte es augenblicklich, und er wurde sofort still. Ich sah ihn mit Angst im Herzen an und sah ihn furchtbar bleich werden.
    Nach einer langen schweren Pause legte er neues Holz aufs Feuer und sagte still: »Sie haben ganz recht, Sinclair, Sie sind ein kluger Kerl. Ich werde Sie mit dem antiquarischen Zeug verschonen.«
    Er sprach sehr ruhig, aber ich hörte den Schmerz der Verwundung wohl heraus. Was hatte ich getan!
    Die Tränen waren mir nah, ich wollte mich ihm herzlich zuwenden, wollte ihn um Verzeihung bitten, ihn meiner Liebe, meiner zärtlichen Dankbarkeit versichern. Rührende Worte fielen mir ein – aber ich konnte sie nicht sagen. Ich blieb liegen, sah ins Feuer und schwieg. Und er schwieg auch, und so lagen wir, und das Feuer brannte herab und sank zusammen, und mit jederverblaffenden Flamme fühlte ich etwas Schönes und Inniges verglühen und verfliegen, das nicht wiederkommen konnte.
    »Ich fürchte, Sie verstehen mich falsch«, sagte ich schließlich sehr gepreßt und mit trockener, heiserer Stimme. Die dummen, sinnlosen Worte kamen mir wie mechanisch über die Lippen, als läse ich aus einem Zeitungsroman vor.
    »Ich verstehe Sie ganz richtig«, sagte Pistorius leis. »Sie haben ja recht.« Er wartete. Dann fuhr er langsam fort: »Soweit ein Mensch eben gegen den andern recht haben kann.«
    Nein, nein, rief es in mir, ich habe unrecht! – aber sagen konnte ich nichts. Ich wußte, daß ich mit meinem einzigen, kleinen Wort ihn auf eine wesentliche Schwäche, auf seine Not und Wunde hingewiesen hatte. Ich hatte den Punkt berührt, wo er sich selber mißtrauen mußte. Sein Ideal war »antiquarisch«, er war ein Sucher nach rückwärts, er war ein Romantiker. Und plötzlich fühlte ich tief: gerade das, was Pistorius mir gewesen war und gegeben hatte, das konnte er sich selbst nicht sein und geben. Er hatte mich einen Weg geführt, der auch ihn, den Führer, überschreiten und verlassen mußte.
    Weiß Gott, wie solch ein Wort entsteht! Ich hatte es gar nicht schlimm gemeint, hatte keine Ahnung von einer Katastrophe gehabt. Ich hatte etwas ausgesprochen, was ich im Augenblick des Aussprechens selber durchaus nicht wußte, ich hatte einem kleinen, etwas witzigen, etwas boshaften Einfall nachgegeben, und es war Schicksal daraus geworden. Ich hatte eine kleine, achtlose Roheit begangen, und für ihn war sie ein Gericht geworden.
    O wie sehr habe ich mir damals gewünscht, er möchte böse geworden sein, er möchte sich verteidigt, möchte mich angeschrien haben! Er tat nichts davon, alles das mußte

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