Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Demian

Demian

Titel: Demian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
Vom Netzwerk:
Junge, es geht nun los. Du wußtest ja von der großen Spannung mit Rußland –«
    »Was? Gibt es Krieg? Ich habe nie daran geglaubt.«
    Er sprach leise, obwohl kein Mensch in der Nähe war.
    »Er ist noch nicht erklärt. Aber es gibt Krieg. Verlaß dich drauf. Ich habe dich seither mit der Sache nicht mehr belästigt, aber ich habe seit damals dreimal neue Anzeichen gesehen. Es wird also kein Weltuntergang, kein Erdbeben, keine Revolution. Es wird Krieg. Du wirst sehen, wie das einschlägt! Es wird den Leuten eine Wonne sein, schon jetzt freut sich jeder aufs Losschlagen. So fad ist ihnen das Leben geworden. – Aber du wirst sehen, Sinclair, das ist nur der Anfang. Es wird vielleicht ein großer Krieg werden, ein sehr großer Krieg. Aber auch das ist bloß der Anfang. Das Neue beginnt, und das Neue wird für die, die am Alten hängen, entsetzlich sein. Was wirst du tun?«
    Ich war bestürzt, es klang mir alles noch fremd und unwahrscheinlich.
    »Ich weiß nicht – und du?«
    Er zuckte die Achseln.
    »Sobald mobilisiert wird, rücke ich ein. Ich bin Leutnant.«
    »Du? Davon wußte ich kein Wort.«
    »Ja, es war eine von meinen Anpassungen. Du weißt, ich bin nach außen nie gern aufgefallen und habe immer eher etwas zuviel getan, um korrekt zu sein. Ich stehe, glaube ich, in acht Tagen schon im Felde –«
    »Um Gottes willen –«
    »Na, Junge, sentimental mußt du das nicht auffassen. Es wird mir ja im Grund kein Vergnügen machen, Gewehrfeuer auf lebende Menschen zu kommandieren, aber das wird nebensächlich sein. Es wird jetzt jeder von uns in das große Rad hineinkommen. Du auch. Du wirst sicher ausgehoben werden.«
    »Und deine Mutter, Demian?«
    Erst jetzt besann ich mich wieder auf das, was vor einer Viertelstunde gewesen war. Wie hatte sich die Welt verwandelt! Alle Kraft hatte ich zusammengerissen, um das süßeste Bild zu beschwören,und nun sah mich das Schicksal plötzlich neu aus einer drohend grauenhaften Maske an.
    »Meine Mutter? Ach, um die brauchen wir keine Sorge zu haben. Sie ist sicher, sicherer als irgend jemand es heute auf der Welt ist. – Du liebst sie so sehr?«
    »Du wußtest es, Demian?« Er lachte hell und ganz befreit.
    »Kleiner Junge! Natürlich wußte ich’s. Es hat noch niemand zu meiner Mutter Frau Eva gesagt, ohne sie zu lieben. Übrigens, wie war das? Du hast sie oder mich heute gerufen, nicht?«
    »Ja, ich habe gerufen – – Ich rief nach Frau Eva.«
    »Sie hat es gespürt. Sie schickte mich plötzlich weg, ich müsse zu dir. Ich hatte ihr eben die Nachrichten über Rußland erzählt.« Wir kehrten um und sprachen wenig mehr, er machte sein Pferd los und stieg auf.
    In meinem Zimmer oben spürte ich erst, wie erschöpft ich war, von Demians Botschaft und noch viel mehr von der vorherigen Anspannung. Aber Frau Eva hatte mich gehört! Ich hatte sie mit meinen Gedanken im Herzen erreicht. Sie wäre selbst gekommen – wenn nicht – – Wie sonderbar war dies alles, und wie schön im Grunde! Nun sollte ein Krieg kommen. Nun sollte das zu geschehen beginnen, was wir oft und oft geredet hatten. Und Demian hatte so viel davon voraus gewußt. Wie seltsam, daß jetzt der Strom der Welt nicht mehr irgendwo an uns vorbeilaufen sollte –, daß er jetzt plötzlich mitten durch unsere Herzen ging, daß Abenteuer und wilde Schicksale uns riefen und daß jetzt oder bald der Augenblick da war, wo die Welt uns brauchte, wo sie sich verwandeln wollte. Demian hatte recht, sentimental war das nicht zu nehmen. Merkwürdig war nur, daß ich nun die so einsame Angelegenheit »Schicksal« mit so vielen, mit der ganzen Welt gemeinsam erleben sollte. Gut denn!
    Ich war bereit. Am Abend, als ich durch die Stadt ging, brausten alle Winkel von der großen Erregung. Überall das Wort »Krieg«!
    Ich kam in Frau Evas Haus, wir aßen im Gartenhäuschen zu Abend. Ich war der einzige Gast. Niemand sprach ein Wort von Krieg. Nur spät, kurz ehe ich wegging, sagte Frau Eva: »Lieber Sinclair, Sie haben mich heut gerufen. Sie wissen, warum ich nicht selbst kam. Aber vergessen Sie nicht: Sie kennen jetzt den Ruf, und wann immer Sie jemand brauchen, der das Zeichenträgt, dann rufen Sie wieder!« Sie erhob sich und ging durch die Gartendämmerung voraus. Groß und fürstlich schritt die Geheimnisvolle zwischen den schweigenden Bäumen, und über ihrem Haupt glommen klein und zart die vielen Sterne.
    Ich komme zum Ende. Die Dinge gingen ihren raschen Weg. Bald war Krieg, und Demian, wunderlich fremd in der

Weitere Kostenlose Bücher