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Demian

Demian

Titel: Demian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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kleine gelehrte Mann sprach fein und eifrig weiter, niemand war sehr aufmerksam, und da der Name nicht mehr vorkam, sank auch meine Aufmerksamkeit bald wieder in mich selbst zurück.
    Das Göttliche und das Teuflische vereinigen“, klang es mir nach. Hier konn-
    ”
    te ich anknüpfen. Das war mir von den Gesprächen mit Demian in der allerletz-ten Zeit unserer Freundschaft her vertraut. Demian hatte damals gesagt, wir hätten wohl einen Gott, den wir verehrten, aber der stelle nur eine willkürlich abgetrennte Hälfte der Welt dar (es war die offizielle, erlaubte lichte“ Welt).
    ”
    Man müsse aber die ganze Welt verehren können, also müsse man entweder
    einen Gott haben, der auch Teufel sei, oder man müsse neben dem Gottes-
    dienst auch einen Dienst des Teufels einrichten. – Und nun War also Abraxas 61
    der Gott, der sowohl Gott wie Teufel war.
    Eine Zeitlang suchte ich mit großem Eifer auf der Spur weiter, ohne doch vorwärts zu kommen. Ich stöberte auch eine ganze Bibliothek erfolglos nach dem Abraxas durch. Doch war mein Wesen niemals stark auf diese Art des
    direkten und bewußten Suchens eingestellt, wobei man zuerst nur Wahrheiten findet, die einem Steine in der Hand bleiben.
    Die Gestalt der Beatrice, mit der ich eine gewisse Zeit hindurch so viel und innig beschäftigt war, sank nun allmählich unter, oder vielmehr sie trat langsam von mir hinweg, näherte sich mehr und mehr dem Horizont und wurde schattenhafter, ferner, blasser. Sie genügte der Seele nicht mehr.
    Es begann jetzt in dem eigentümlich in mich selbst eingesponnenen Dasein, das ich wie ein Traumwandler führte, eine neue Bildung zu entstehen. Die Sehnsucht nach dem Leben blühte in mir, vielmehr die Sehnsucht nach Liebe, und der Trieb des Geschlechts, den ich eine Weile hatte in die Anbetung Beatrices auflösen können, verlangte neue Bilder und Ziele. Noch immer kam keine Erfüllung mir entgegen, und unmöglicher als je war es mir, die Sehnsucht zu täuschen und etwas von den Mädchen zu erwarten, bei denen meine Kameraden ihr Glück suchten. Ich träumte wieder heftig, und zwar mehr am Tage als in der Nacht. Vorstellungen, Bilder oder Wünsche, stiegen in mir auf und zogen mich von der äußeren Welt hinweg, so daß ich mit diesen Bildern in mir, mit diesen Träumen oder Schatten, wirklicher und lebhafter Umgang hatte und lebte, als mit meiner wirklichen Umgebung.
    Ein bestimmter Traum, oder ein Phantasiespiel, das immer wiederkehrte,
    wurde mir bedeutungsvoll. Dieser Traum, der wichtigste und nachteiligste meines Lebens, war etwa so: ich kehrte in mein Vaterhaus zurück – über dem Haustor leuchtete der Wappenvogel in Gelb auf blauem Grund – im Hause
    kam mir meine Mutter entgegen – aber als ich eintrat und sie umarmen wollte, war es nicht sie, sondern eine nie gesehene Gestalt, groß und mächtig, dem Max Demian und meinem gemalten Blatte ähnlich, doch anders, und trotz
    der Mächtigkeit ganz und gar weiblich. Diese Gestalt zog mich an sich und nahm mich in eine tiefe, schauernde Liebesumarmung auf. Wonne und Grausen waren vermischt, die Umarmung war Gottesdienst und war ebenso Verbrechen.
    Zu viel Erinnerung an meine Mutter, zu viel Erinnerung an meinen Freund Demian geistete in der Gestalt, die mich umfing. Ihre Umarmung verstieß gegen jede Ehrfurcht und war doch Seligkeit. Oft erwachte ich aus diesem Traum mit tiefem Glücksgefühl, oft mit Todesangst und gequältem Gewissen wie aus furchtbarer Sünde.
    Nur allmählich und unbewußt kam zwischen diesem ganz innerlichen Bilde
    und dem mir von außen zugekommenen Wink über den zu suchenden Gott
    eine Verbindung zustande. Sie wurde aber dann enger und inniger, und ich begann zu spüren, daß ich gerade in diesem Ahnungstraum den Abraxas an-62
    rief. Wonne und Grauen, Mann und Weib gemischt, Heiligstes und Gräßliches ineinander verflochten, tiefe Schuld durch zarteste Unschuld zuckendso war mein Liebestraumbild, und so war auch Abraxas. Liebe war nicht mehr tie-risch dunkler Trieb, wie ich sie beängstigt im Anfang empfunden hatte, und sie war auch nicht mehr fromm vergeistigte Anbeterschaft, wie ich sie dem Bilde der Beatrice dargebracht. Sie war beides, beides und noch viel mehr, sie war Engelsbild und Satan, Mann und Weib in einem, Mensch und Tier,
    höchstes Gut und äußerstes Böses. Dies zu leben schien mir bestimmt, dies zu kosten mein Schicksal. Ich hatte Sehnsucht nach ihm und hatte Angst vor ihm, aber es war immer da, war immer über mir.
    Im nächsten

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