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Demian

Demian

Titel: Demian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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auch er war mir ein Führer, oder doch ein Weg. Die tollen Bücher und Schriften, die er mir zutrug und in denen er sein Heil suchte, lehrten mich mehr, als ich im Augenblick einsehen konnte.
    Dieser Knauer verlor sich später ungefühlt von meinem Weg. Mit ihm war
    eine Auseinandersetzung nicht nötig. Wohl aber mit Pistorius. Mit diesem Freunde erlebte ich gegen den Schluß meiner Schulzeit in St. noch etwas Eigentümliches.
    Auch den harmlosen Menschen bleibt es kaum erspart, einmal oder eini-
    gemal im Leben in Konflikt mit den schönen Tugenden der Pietät und der
    Dankbarkeit zu geraten. Jeder muß einmal den Schritt tun, der ihn von seinem Vater, von seinen Lehrern trennt, jeder muß etwas von der Härte der Einsamkeit spüren, wenn auch die meisten Menschen wenig davon ertragen
    können und bald wieder unterkriechen. – Von meinen Eltern und ihrer Welt, der lichten“ Welt meiner schönen Kindheit, war ich nicht in heftigem Kampf
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    geschieden, sondern langsäm und fast unmerklich ihnen ferner gekommen und fremder geworden. Es tat mir leid, es machte mir bei den Besuchen in der Heimat oft bittere Stunden; aber es ging nicht bis ins Herz, es war zu ertragen.
    Aber dort, wo wir nicht aus Gewohnheit, sondern aus eigenstem Antrieb
    Liebe und Ehrfurcht dargebracht haben, da, wo wir mit eigenstem Herzen
    Jünger und Freunde gewesen sind – dort ist es ein bitterer und furchtbarer Augenblick, wenn wir plötzlich zu erkennen meinen, daß die führende Strömung in uns von dem Geliebten wegführen will. Da richtet jeder Gedanke, der den Freund und Lehrer abweist, sich mit giftigem Stachel gegen unser eigenes Herz, da trifft jeder Hieb der Abwehr ins eigene Gesicht. Da tauchen dem, der eine gültige Moral in sich selber zu tragen meinte, die Namen Treulosigkeit“ und
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    Undankbarkeit“ wie schändliche Zurufe und Brandmäler auf, da flieht das
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    erschrockene Herz angstvoll in die lieben Täler der Kindheitstugenden zurück und kann nicht daran glauben, daß auch dieser Bruch getan, daß auch dieses Band zerschnitten werden muß.

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    Langsam hatte ein Gefühl in mir sich mit der Zeit dagegen gewendet, meinen Freund Pistorius so unbedingt als Führer anzuerkennen. Was ich in den wichtigsten Monaten meiner Jünglingszeit erlebt hatte, war die Freundschaft mit ihm, war sein Rat, sein Trost, seine Nähe gewesen. Aus ihm hatte Gott zu mir gesprochen. Aus seinem Munde waren meine Träume mir zurückgekehrt,
    geklärt und gedeutet. Er hatte mir den Mut zu mir selber geschenkt. – Ach, und nun spürte ich langsam anwachsend Widerstände gegen ihn. Ich hörte zu viel Belehrendes in seinen Worten, ich empfand, daß er nur einen Teil von mir ganz verstehe.
    Es gab keinen Streit, keine Szene zwischen uns, keinen Bruch und nicht
    einmal eine Abrechnung. Ich sagte ihm nur ein einziges, eigentlich harmloses Wort – aber es war doch eben der Augenblick, in dem zwischen uns eine
    Illusion in farbige Scherben zerfiel.
    Gedrückt hatte die Vorausahnung mich schon eine Weile, zum deutlichen
    Gefühl wurde sie eines Sonntags in seiner alten Gelehrtenstube. Wir lagen am Boden vor dem Feuer, und er sprach von Mysterien und Religionsformen, die er studierte, an denen er sann, und deren mögliche Zukunft ihn beschäftigte. Mir aber schien dies alles mehr kurios und interessant als lebenswichtig, es klang mir Gelehrsamkeit, es klang mir müdes Suchen unter Trümmern ehemaliger
    Welten daraus entgegen. Und mit einem Male spürte ich einen Widerwillen gegen diese ganze Art, gegen diesen Kultus der Mythologien, gegen dieses Mosaikspiel mit überlieferten Glaubensformen.
    Pistorius“, sagte ich plötzlich, mit einer mir selber überraschend und er-
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    schreckend hervorbrechenden Bosheit,
    Sie sollten mir wieder einmal einen
    ”
    Traum erzählen, einen wirklichen Traum, den Sie in der Nacht gehabt haben.
    Das, was Sie da reden, ist so – so verflucht antiquarisch!“
    Er hatte mich niemals so reden hören, und ich selbst empfand im selben
    Augenblick blitzhaft mit Scham und Schrecken, daß der Pfeil, den ich auf ihn abschoß, und der ihn ins Herz traf, aus seiner eigenen Rüstkammer genommen war daß ich Selbstvorwürfe, die ich ihn in ironischem Ton gelegentlich hatte äußern hören, nun boshaft ihm in zugespitzter Form zuwarf.
    Er spürte es augenblicklich, und er wurde sofort still. Ich sah ihn mit Angst im Herzen an und sah ihn furchtbar bleich werden.
    Nach einer langen schweren Pause legte er neues Holz aufs Feuer und

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