Demian
will, dann
”
mache ich eine solche Übung. Ich denke mir irgend etwas, zum Beispiel ein Wort oder einen Namen, oder eine geometrische Figur. Die denke ich dann in mich hinein, so stark ich kann, ich suche sie mir innen in meinem Kopf vorzustellen, bis ich fühle, daß sie darin ist. Dann unke ich sie in den Hals, und so weiter, bis ich ganz davon ausgefüllt bin. Dann bin ich ganz fest, und nichts mehr kann mich aus der Ruhe bringen.“
Ich begriff einigermaßen, wie er es meine. Doch fühlte ich wohl, daß er noch anderes auf dem Herzen habe, er war seltsam erregt und hastig. Ich suchte ihm das Fragen leicht zu machen, und bald kam er denn mit seinem eigentlichen Anliegen.
Du bist doch auch enthaltsam?“ fragte er mich ängstlich.
”Wie meinst du das? Meinst du das Geschlechtliche?“
”Ja, ja. Ich bin jetzt seit zwei Jahren enthaltsam, seit ich von der Lehre
”
weiß. Vorher habe ich ein Laster getrieben, du weißt schon. – Du bist also nie bei einem Weib gewesen?“
Nein“, sagte ich. Ich habe die Richtige nicht gefunden.“
”
”
Aber wenn du die fändest, von der du meinst, sie sei die Richtige, dann
”
würdest du mit ihr schlafen?“
Ja, natürlich. – Wenn sie nichts dagegen hat“, sagte ich mit etwas Spott.
”Oh, da bist du aber auf dem falschen Weg! Die inneren Kräfte kann man
”
nur ausbilden, wenn man völlig enthaltsam bleibt. Ich habe es getan, zwei Jahre lang. Zwei Jahre und etwas mehr als einen Monat! Es ist so schwer!
Manchmal kann ich es kaum mehr aushalten.“
76
Höre, Knauer, ich glaube nicht, daß die Enthaltsamkeit so furchtbar wichtig
”
ist.“
Ich weiß“, wehrte er ab, das sagen alle. Aber von dir habe ich es nicht
”
”
erwartet. Wer den höheren geistigen Weg gehen will, der muß rein bleiben, unbedingt!“
Ja, dann tu es! Aber ich begreife nicht, warum einer reiner‘ sein soll,
”
’
der sein Geschlecht unterdrückt, als irgendein anderer. Oder kannst du das Geschlechtliche auch aus allen Gedanken und Träumen ausschalten?“
Er sah mich verzweifelt an.
Nein, eben nicht! Herrgott, und doch muß es sein. Ich habe in der Nacht
”
Träume, die ich nicht einmal mir selber erzählen könnte! Furchtbare Träume, du!“
Ich erinnerte mich dessen, was Pistorius mir gesagt hatte. Aber so sehr ich seine Worte als richtig empfand, ich konnte sie nicht weitergeben, ich konnte nicht einen Rat erteilen, der nicht aus meiner eigenen Erfahrung herkam und dessen Befolgung ich mich selber noch nicht gewachsen fühlte. Ich wurde schweigsam und fühlte mich dadurch gedemütigt, daß da jemand Rat bei mir suchte, dem ich keinen zu geben hatte.
Ich habe alles probiert!“ jammerte Knauer neben mir.
Ich habe getan,
”
”
was man tun kann, mit kaltem Wasser, mit Schnee, mit Turnen und Laufen, aber es hilft alles nichts. Jede Nacht wache ich aus Träumen auf, an die ich gar nicht denken darf. Und das Entsetzliche ist: darüber geht mir allmählich alles wieder verloren, was ich geistig gelernt hatte. Ich bringe es beinahe nie mehr fertig, mich zu konzentrieren oder mich einzuschläfern, oft liege ich die ganze Nacht wach. Ich halte das nimmer lang aus. Wenn ich schließlich doch den Kampf nicht durchführen kann, wenn ich nachgebe und mich wieder unrein
mache, dann bin ich schlechter als alle anderen, die überhaupt nie gekämpft haben. Das begreifst du doch?“
Ich nickte, konnte aber nichts dazu sagen. Er begann mich zu langweilen, und ich erschrak vor mir selber, daß mir seine offensichtliche Not und Verzweiflung keinen tiefern Eindruck machte. Ich empfand nur: ich kann dir nicht helfen.
Also weißt du mir gar nichts?“ sagte er schließlich erschöpft und traurig.
”
Gar nichts? Es muß doch einen Weg geben! Wie machst denn du es?“
”
Ich kann dir nichts sagen, Knauer. Man kann einander da nicht helfen.
”
Mir hat auch niemand geholfen. Du mußt dich auf dich selber besinnen, und dann mußt du das tun, was wirklich aus deinem Wesen kommt. Es gibt nichts anderes. Wenn du dich selber nicht finden kannst, dann wirst du auch keine Geister finden, glaube ich.“
Enttäuscht und plötzlich stumm geworden, sah der kleine Kerl mich an.
Dann glühte sein Blick in plötzlicher Gehässigkeit auf, er schnitt mir eine 77
Grimasse und schrie wütend: Ah, du bist mir ein schöner Heiliger! Du hast
”
auch dein Laster, ich weiß es! Du tust wie ein Weiser, und heimlich hängst du am gleichen Dreck wie ich und alle! Du bist ein Schwein,
Weitere Kostenlose Bücher