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Demian

Demian

Titel: Demian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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ich in den öden Raum, es roch trübe nach feuchter Kälte und Steinen. Ein Sandhaufen lag da, ein grauheller Fleck, sonst war alles dunkel.
    Da rief eine entsetzte Stimme mich an:
    Um Gottes willen, Sinclair, wo
    ”
    kommst du her?“
    Und neben mir richtete aus der Finsternis ein Mensch sich auf, ein kleiner magerer Bursch, wie ein Geist, und ich erkannte, während mir noch die Haare zu Berge standen, meinen Schulkameraden Knauer.
    Wie kommst du hierher?“ fragte er, wie irr vor Erregung. Wie hast du
    ”
    ”
    mich finden können?“
    Ich verstand nicht.
    Ich habe dich nicht gesucht“, sagte ich benommen; jedes Wort machte mir
    ”
    Mühe und kam mir mühsam über tote, schwere, wie erfrorene Lippen.
    Er starrte mich an.
    Nicht gesucht?“
    ”Nein. Es zog mich her. Hast du mich gerufen? Du mußt mich gerufen haben.
    ”
    Was tust du denn hier? Es ist doch Nacht.“
    Er umschlang mich krampfhaft mit seinen dünnen Armen.

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    Ja, Nacht. Es muß bald Morgen werden. O Sinclair, daß du mich nicht
    ”
    vergessen hast! Kannst du mir denn verzeihen?“
    Was denn?“
    ”Ach, ich war ja so häßlich!“
    ”
    Erst jetzt kam mir die Erinnerung an unser Gespräch. War das vor vier, fünf Tagen gewesen? Mir schien seither ein Leben vergangen. Aber jetzt wußte ich plötzlich alles. Nicht nur, was zwischen uns geschehen war, sondern auch, warum ich hergekommen war und was Knauer hier draußen hatte tun wollen.
    Du wolltest dir also das Leben nehmen, Knauer?“
    ”
    Er schauderte vor Kälte und vor Angst.
    Ja, ich wollte. Ich weiß nicht, ob ich es gekonnt hätte. Ich wollte warten,
    ”
    bis es Morgen wird.“
    Ich zog ihn ins Freie. Die ersten waagrechten Lichtstreifen des Tages glommen unsäglich kalt und lustlos in den grauen Lüften.
    Ich führte den jungen eine Strecke weit am Arm. Es sprach aus mir: Jetzt
    ”
    gehst du nach Hause und sagst niemand etwas! Du bist den falschen Weg
    gegangen, den falschen Weg! Wir sind auch nicht Schweine, wie du meinst.
    Wir sind Menschen. Wir machen Götter und kämpfen mit ihnen, und sie
    segnen uns.“
    Schweigend gingen wir weiter und auseinander. Als ich heimkam, war es
    Tag geworden.
    Das Beste, was mir jene Zeit in St. noch brachte, waren Stunden mit Pi-
    storius an der Orgel oder vor dem Kaminfeuer. Wir lasen einen griechischen Text über Abraxas zusammen, er las mir Stücke einer Übersetzung aus den Veden vor und lehrte mich das heilige Om“ sprechen. Indessen waren es nicht
    ”
    diese Gelehrsamkeiten, die mich im Innern förderten, sondern eher das Gegenteil. Was mir wohltat, war das Vorwärtsfinden in mir selber, das zunehmende Vertrauen in meine eigenen Träume, Gedanken und Ahnungen, und das zunehmende Wissen von der Macht, die ich in mir trug.
    Mit Pistorius verstand ich mich auf jede Weise. Ich brauchte nur stark an ihn zu denken, so war ich sicher, daß er oder ein Gruß von ihm zu mir kam.
    Ich konnte ihn, ebenso wie Demian, irgend etwas fragen, ohne daß er selbst da war: ich brauchte ihn mir nur fest vorzustellen und meine Fragen als intensive Gedanken an ihn zu richten. Dann kehrte alle in die Frage gegebene Seelenkraft als Antwort in mich zurück. Nur war es nicht die Person des Pistorius, die ich mir vorstellte, und nicht die des Max Demian, sondern es war das von mir geträumte und gemalte Bild, das mannweibliche Traumbild meines Dämons,
    das ich anrufen mußte. Es lebte jetzt nicht mehr nur in meinen Träumen und nicht mehr gemalt auf Papier, sondern in mir, als ein Wunschbild und eine Steigerung meiner selbst.

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    Eigentümlich und zuweilen komisch war das Verhältnis, in welches der miß-
    glückte Selbstmörder Knauer zu mir getreten war. Seit der Nacht, in der ich ihm gesendet worden war, hing er an mir wie ein treuer Diener oder Hund, suchte sein Leben an meines zu knüpfen und folgte mir blindlings. Mit den wunderlichsten Fragen und Wünschen kam er zu mir, wollte Geister sehen, wollte die Kabbala lernen, und glaubte mir nicht, wenn ich ihm versicherte, daß ich von all diesen Sachen nichts verstünde. Er traute mir jede Macht zu.
    Aber seltsam war, daß er oft mit seinen wunderlichen und dummen Fragen
    gerade dann zu mir kam, wenn irgendein Knoten in mir zu lösen war, und daß seine launischen Einfälle und Anliegen mir oft das Stichwort und den Anstoß zur Lösung brachten. Oft war er mir lästig und wurde herrisch weggeschickt, aber ich spürte doch: auch er war mir gesandt, auch aus ihm kam das, was ich ihm gab, verdoppelt in mich zurück,

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