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Demokratie! - wofür wir kämpfen

Demokratie! - wofür wir kämpfen

Titel: Demokratie! - wofür wir kämpfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Campus
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Spekulation ist, sondern eine Realität, hat sich im Widerstand der Protestbewegungen des Jahres 2011 gezeigt.
    Die neoliberale Überformung des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Lebens hat nicht einfach nur verarmteund entkräftete Subjekte hervorgebracht. Die Verarmung, in der das heutige Proletariat lebt, geht weit über Lohnkürzungen und die Erschöpfung der individuellen und kollektiven Ressourcen hinaus, von denen Marx und Engels sprachen. Verarmung bedeutet heute zunehmend auch einen Verlust menschlicher Fähigkeiten, allen voran unserer Fähigkeit zu politischem Handeln. Hannah Arendt nahm diese generelle Beschneidung der menschlichen Handlungsfähigkeit in einer Ära des triumphierenden Kapitalismus vorweg, und mit den hier beschriebenen Phänomenen ließe sich umgekehrt ihre Handlungstheorie erweitern. Diese neue Vorstellung der Handlungsfähigkeit geht über die Beschreibung der abstumpfenden Wirkung ausgebeuteter und bürokratisierter Arbeit im Zeitalter der Kapitalismus hinaus und beinhaltet einen lebendigen kairos , der die Ausbeutung überwindet und stürzt, einen kairos des Widerstands.
    Wenn wir unter der Last von Schulden ächzen, wenn uns der Bildschirm fesselt, wenn wir unser Haus in ein Gefängnis verwandelt haben, dann erkennen wir, wie sehr uns die Krise des Kapitalismus vereinzelt und unsere Leidenschaften abstumpft. Wir sind allein und ohnmächtig. Aber wenn wir uns umsehen, stellen wir fest, dass die Krise auch neue Formen der Gemeinschaft hervorbringt. In der Krise beschreiben Verschuldung, Vernetzung, Verwahrung und Vertretung unseren gemeinsamen Zustand. Es gibt keine Alternative: Wir sind auf der Titanic , und Verarmung und Vereinzelung machen unser Leben grau und leer. Aber wir sind zusammen hier. Es gibt einen kairos des Widerstands und einen kairos der Gemeinschaft.
    Wir müssen uns aus dieser Verarmung, Verelendung und Vereinsamung befreien. Aber wo sollen wir beginnen? Das Subjekt, dem sein Potenzial geraubt wurde, ist eine Kraft, die keinenZugang zu sich selbst hat, oder wie Deleuze in seiner Interpretation von Nietzsche schreibt: »Une force séparée de ce qu’elle peut.« Wir müssen eine neue Beziehung zwischen Handeln und Gemeinschaft herstellen. Die Empörung, die aus dem individuellen Leid hervorbricht, verweist beispielsweise schon in ihrem einsamen Widerstand auf eine Gemeinschaft. Wir werden nicht vereinzelt, sondern singulär, wenn wir in der Gemeinschaft mit anderen unsere Kraft wiederfinden. Als singuläre Subjekte erkennen wir, dass ohne andere singuläre Subjekte kein Handeln möglich ist, und dass umgekehrt jedes Zusammentreffen mit anderen singulären Subjekten zur Rebellion führt. Es kommt ein Prozess in Gang, in dem wir uns selbst bestätigen, aufwerten, und die Entscheidung treffen, uns zu Anderen hin zu öffnen. Alle politischen Bewegungen werden auf diese Weise geboren: Sie beginnen mit einer Entscheidung, mit dem Bestehenden zu brechen und münden in der Absicht, gemeinsam mit anderen zu handeln.
Verweigert die Schulden!
    Die Rückeroberung unserer Handlungsfähigkeit beginnt mit einer Verweigerung. Nein. Wir werden eure Schulden nicht bezahlen. Wir lassen uns nicht aus unseren Häusern vertreiben. Wir unterwerfen uns eurem Spardiktat nicht. Stattdessen wollen wir uns euren Reichtum nehmen, der in Wirklichkeit uns gehört.
    Zu bestimmten Zeiten, wenn die Krise am härtesten zuschlägt und wir diese Schläge allein aushalten müssen, wächst ein verzweifelter Widerstandswille. Woher kommt dieser Wille?Viele Philosophen suchen die Ursache im Mangel, als ob wir auf das sehen müssten, was uns fehlt, um wollen oder handeln zu können. Aber das ist falsch. Der Wille entspringt dem positiven Impuls, eine Fülle zu bestätigen, und nicht einen Mangel, und dem Bedürfnis, einen Wunsch zu verwirklichen. Der Wille, Schulden nicht zu bezahlen, bedeutet nicht nur, uns etwas zu wünschen, was wir nicht oder nicht mehr haben. Er ist Ausdruck unseres Wunschs nach etwas Besserem und Schönerem: der Gemeinschaft und der Fülle unserer sozialen Beziehungen.
    Die Schulden zu verweigern bedeutet also nicht nur, soziale Bande und Verpflichtungen zu zerreißen, um zerstreute Fetzen zu hinterlassen. Wir fliehen aus diesen Banden und Verpflichtungen, um den Begriffen »Band« und »Verpflichtung« neue Bedeutung zu verleihen und neue soziale Bindungen zu schaffen. Marx war durchaus realistisch, als er das Geld als wichtigsten sozialen Kitt einer

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