Demonica: Versuchung der Nacht (German Edition)
gedacht hätte, dass ich sie jemals sagen würde.«
Idess’ Herz hämmerte gegen ihre Rippen. Erst jetzt wurde sie sich ihrer Hilflosigkeit richtig bewusst, und neue Angst überfiel sie. »Lass mich frei.«
»So wie du mich, als ich dich darum gebeten habe?«
Sie schluckte. »Bitte. Du darfst Kynan nicht töten. Er ist wichtig.«
»Ja. Für mich schon.«
»Für die ganze Welt.«
»Ich denke, die Welt wird schon überleben, wenn ein Arschloch weniger auf ihr lebt.«
Genau genommen nein, aber wie sie inzwischen wusste, interessierten sich Dämonen nur selten für das Schicksal der Menschheit, also versuchte sie eine neue Taktik. »Es geht nicht nur um die Welt. Auch mir persönlich liegt viel daran, dass er am Leben bleibt.«
Er schnaubte. »Was denn – kriegst du vielleicht deine Flügelchen nicht, wenn er stirbt?«
»Genauso ist es.«
Er verdrehte die Augen, aber als sie ihn einfach nur anstarrte, wurde er stutzig. »Das ist dein Ernst.«
»Du kannst dir gar nicht vorstellen, was das für mich bedeuten würde.« Panik ließ sie von Kopf bis Fuß erbeben. Es gab nur eine Handvoll Memitim, die niemals aufgestiegen waren, und die waren dazu verurteilt, entweder für alle Zeit Primori zu beschützen oder aber die Ewigkeit als Menschen zu verbringen, die immer wieder neu in diese Welt hineingeboren wurden, ohne jemals in den Himmel zu gelangen. Einige hatten einfach aufgehört zu existieren. Aber so grauenhaft diese Strafen auch klangen, sie waren nicht ihre vorrangige Motivation, auf keinen Fall versagen zu wollen.
Wenn es ihr nicht gelang, den wichtigsten Menschen zu beschützen, der auf der Erde existierte, würde dies einen Einfluss auf das Schicksal der gesamten Menschheit, auf Milliarden Seelen haben, wenn der letzte Kampf zwischen Gut und Böse auf der Erde ausbrach.
Ihr Verrat an Rami lastete nun schon seit zwölfhundert Jahren auf ihr, und jeden Tag hatte sie im Gebet um eine Chance gefleht, Vergebung zu erlangen. Aber wenn sie nun die menschliche Rasse verriet? Dafür würde es keine Absolution geben.
Etwas Heißes, Nasses rann über ihre Wange. Eine Träne. O je, sie hatte schon seit Jahrhunderten nicht mehr geweint. Nicht seit dem Tag, an dem Rami aszendiert war. Ehe sie wusste, wie ihr geschah, war aus der einzelnen Träne ein ganzer Fluss geworden, und mit einem Mal schniefte oder weinte sie nicht nur, sondern hatte einen ausgewachsenen Heulanfall, schluchzte zum Steinerweichen und schnappte zitternd und keuchend nach Luft.
»Idess … beruhige dich … Idess?« Lores Hände legten sich um ihr Gesicht. »Hey, ist schon gut. Ganz ruhig, Engel, ruhig … «
Sie weinte nur noch schlimmer. Sie konnte einfach nicht aufhören … Es war, als hätten sich diese Tränen jahrhundertelang in ihr aufgestaut. Und jetzt ließ sich der Fluss einfach nicht mehr eindämmen, als wäre ein schlafender Vulkan ausgebrochen.
Und dann lagen Lores Lippen auf ihren, und er küsste sie. Sein Mund folgte der Spur der Tränen über ihre Wangen, während seine Daumen – der eine nackt, der andere steckte im Handschuh – immer wieder über ihre Haut strichen, die mit einem Mal so sensibel war, als ob sie Sonnenbrand hätte.
»Schhh … « Zärtlich küsste er ihr Ohr. »Es ist alles gut.«
»Nein«, jammerte sie, denn gar nichts war gut.
Seine Hände streichelten ihre Wangen, der bloße Daumen fuhr gemächlich über ihre Unterlippe. »Es tut mir leid«, murmelte er. »Ich bin nicht gewohnt, mit so etwas umzugehen. Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll.«
»Ich – « Als die Spitze seines Daumens in ihren Mund glitt, verstummte sie. Sie dachte nicht nach, wollte nicht denken.
Stattdessen folgte sie ihrem Impuls, schloss die Lippen um ihn und saugte ihn noch tiefer in ihren Mund. Seine Augen verdunkelten sich, und sein Mund klappte auf, sodass sein Piercing hervorblitzte … Wow, wenn sie vorher schon gedacht hatte, dass sie Macht über ihn hätte, als er ihr noch auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war, angekettet, um Erlösung flehend … das war gar nichts gewesen. Das Wissen darum, welche Gefühle sie in ihm auszulösen vermochte, während sie gefesselt war, war eine Offenbahrung.
Jetzt musste sie nur noch herausfinden, wie genau sie das ausnutzen konnte, was sie soeben gelernt hatte.
Sie bemühte sich, sich an ihre ziemlich eingerosteten Verführungskünste zu erinnern, umkreiste mit der Zunge seinen Knöchel und biss ihn dann sanft in die Fingerbeere. Als er scharf ausatmete, schoss in einer
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