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Den du nicht siehst

Den du nicht siehst

Titel: Den du nicht siehst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mari Jungstedt
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mit ihrem Leben weitergemacht.«
    »Haben Sie nicht versucht, Kontakt mit ihr aufzunehmen?«
    Hagman schaute auf und blickte Knutas ins Gesicht, ehe er antwortete.
    »Nein. Nie.«
    »Wann haben Sie sie zuletzt getroffen?«
    »An dem besagten Abend. Im Umkleideraum.«
    »Und Sie beschlossen dann, Ihre Frau nicht zu verlassen?«
    »Ja. Sie wollte alles vergessen und einen neuen Anfang machen. Warum, weiß ich nicht. Sie hat mich nicht geliebt. Ja, und die Kinder auch nicht«, sagte Hagman und schaute zu der verschlossenen Tür hinüber, wie um sich davon zu überzeugen, dass sein Sohn die Worte nicht gehört hatte.
    »Haben die Kinder damals erfahren, was passiert war?«
    »Nein, die haben nichts gemerkt. Jens wohnte ja nicht einmal zu Hause. Er ist zu Beginn der Oberstufe zu meiner Schwester und meinem Schwager nach Stockholm umgezogen. Er wollte dort aufs Gymnasium gehen. Seither wohnt er in Stockholm. Er besucht mich nur ab und zu. Meine Tochter Elin lebt in Halmstad. Sie hat dort nach dem Abitur einen Mann kennen gelernt und ist zu ihm gezogen.«
    Er schwieg erneut. Knutas entdeckte einen Marienkäfer, der ein Tischbein hochkletterte. Kihlgård brach das Schweigen.
    »Hatten Sie außer mit Helena noch was mit anderen Schülerinnen?«, fragte er.
    Hagmans Fingerknöchel traten weiß hervor, als er die Sessellehne fest umklammerte. Wütend starrte er Kihlgård an.
    »Was zum Teufel soll das denn heißen?«
    Er spuckte jedes Wort aus wie eine Verwünschung.
    Kihlgård erwiderte seinen Blick ungerührt.
    »Ich will wissen, ob Sie noch mit anderen Schülerinnen im Bett waren.«
    »Nein, das war ich nicht. Für mich gab es nur Helena«, antwortete Hagman erbost.
    »Sind Sie da sicher? Wenn Sie noch etwas mit anderen Schülerinnen hatten, dann werden wir das auf jeden Fall erfahren. Und es würde die Dinge beschleunigen, wenn Sie es hier und jetzt zugäben.«
    »Haben Sie nicht gehört, was ich gesagt habe? Für mich hat es nur Helena gegeben. Nach ihr kam keine mehr. Und jetzt reicht es. Ich habe nichts mehr zu sagen.«
    Jan Hagmans Gesicht war unter der Sonnenbräune weiß vor Zorn. Aus ihm würden sie nichts mehr herausholen. Jedenfalls nicht bei diesem Besuch.
     
    Die Schulglocke läutete, als er sich gerade an die nächste Rechenaufgabe machen wollte. Er war dermaßen in seine Arbeit vertieft, dass er nicht auf die Zeit geachtet hatte. Mathe war das einzige Fach, das ihn ganz und gar verschlingen konnte. Das ihn die Welt um sich herum vergessen ließ. In diesen Momenten war er fast glücklich.
    Seine Mitschüler sprangen schon auf. Stühle scharrten über den Boden, Bücher wurden hochgehoben, Tischklappen zugeknallt. Lautes Gelächter und Stimmengewirr erhob sich, während sie das Klassenzimmer verließen.
    Wie konnte dasselbe Signal einmal den Himmel und das nächste Mal die Hölle ankündigen? Er liebte das Läuten zum Unterrichtsbeginn. Es glich einer Befreiung, einer warmen Umarmung, die ihn in der Stunde der Not ins rettende Klassenzimmer rief. Beendete es aber den Unterricht, war ihm nichts auf der Welt so verhasst wie dieser Dreiklang. Er wurde nervös, begann zu schwitzen und zu zittern. Und hatte entsetzliche Angst.
    Die Gedanken jagten ihm durch den Kopf, während er langsam seine Bücher zusammensuchte. Er starrte die Tischklappe an.
    Was würde wohl in dieser Pause passieren? Würde er verschont bleiben? Sollte er so lange herumtrödeln wie möglich? Vielleicht würden sie das Warten dann satt haben. Oder sollte er schnell aufspringen und versuchen, wegzulaufen und sein Versteck zu erreichen?
    Wie sollte er sich nur entscheiden? Mechanisch packte er weiter seine Sachen zusammen. Als er das Klassenzimmer schließlich verließ, krampfte sich sein Magen zusammen. Er bekam fast keine Luft mehr. Er hatte das Gefühl, in einen Abgrund zu stürzen.
    Auf dem Flur wimmelte es nur so von Kindern, Haken und Taschen, Stiefeln, Jacken und Mützen, Rucksäcken und dunkelblauen und roten Turnbeuteln. Er musste pinkeln. Besser also, er rannte zur Toilette.
    Aber zuerst musste er seinen Turnbeutel holen. Er starrte den blanken Stahlhaken an. Seinen Haken in der langen Hakenreihe an der roten Klinkerwand. Von denen, die er so hasste, war niemand zu sehen.
    Als er den Haken erreicht hatte, riss er den Beutel an sich, machte auf dem Absatz kehrt und rannte zu den Toiletten. Stürzte in die erstbeste, die frei war. Verschloss die Tür und atmete erleichtert auf. Hier würde er sitzen bleiben, bis die Pause zu Ende war und

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