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Den ersten Stein

Den ersten Stein

Titel: Den ersten Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elliott Hall
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ein schweres, schwarzes Telefon
     aus den Tagen der Nummernwählscheibe, dessen Inneres für das neue Jahrhundert nachgerüstet worden war. Ein Freund hatte es
     mir geschenkt, weil er glaubte, seine wuchtige Gediegenheit werde mir gefallen.Jetzt würde es mir auf eine Weise nützlich werden, die seine Schöpfer nicht vorhergesehen hatten.
    Ich packte das Telefon, während Ernest und ich uns um den Tisch herum verfolgten. Ich nahm den Hörer in die rechte Hand und
     dehnte das schwarze Spiralkabel. Die einzigen Geräusche im Raum waren ein Wählton und das Knistern von Elektrizität. Ich beugte
     die rechte Schulter ein wenig vor, gerade genug, um den Jungen auf dumme Gedanken zu bringen. Er stürzte sich über den Schreibtisch
     auf meine rechte Seite. Mit einer Drehung des ganzen Körpers schlug ich Ernest den Telefonapparat mit aller Kraft in die Visage.
     Etwas in seinem Gesicht brach, und dann noch etwas.
    Ich ließ das Telefon fallen und griff nach meiner Pistole. Als ich mich aufrichtete, war Ernest verschwunden. Ich wollte ihm
     hinterherjagen, aber dieser Stromstoß hatte mich den größten Teil meiner Kraft gekostet.
    Ich schleppte mich rechtzeitig zum Fenster, um zu sehen, wie er in einen laufenden, braunen Viertürer sprang, der den Schauplatz
     mit überhöhter Geschwindigkeit verließ. Ich kritzelte das Kennzeichen auf die Rückseite eines alten Kassenzettels. Ein Freund
     bei der New Yorker Polizei war mir etwas schuldig, aber er war ein Schreibtischhengst, der erst morgen früh im Dienst sein
     würde.
    Meine Hand blutete. Im Chaos meines Arzneischränkchens fand ich ein Desinfektionsmittel und einen Verband. Fast ohne das Brennen
     der Jodtinktur zu spüren, wickelte ich mir den Verbandsmull um die Hand. Ich musste herausbekommen, wer diesen jüngsten Angriff
     auf meine Person veranlasst hatte, aber heute Abend war ich dafür zu müde. Eines wusste ich immerhin schon, nämlich das Ernest
     – oder wie immer er in Wirklichkeit hieß – nicht versucht hatte, mich zu töten. Wer Mordabsichten hegt, taucht nicht mit einer
     Elektroschockwaffe auf.
    Wieder stieg eine Welle der Übelkeit in mir auf, zehnfach verstärkt durch den Elektroschock und die Anstrengung. Ich zischte
     zur Toilette wie eine lebende Granate und erbrach das, was von meinem Abendessen und dem Dim Sum übrig war – nicht viel, wie
     sich herausstellte. Danach kam ein endloses trockenes Würgen, das mir den Hals wund machte. Als es endlich vorbei war, war
     ich zu schwach, um aufzustehen. Ich umfing die Toilettenschüssel mit den Armen, legte meinen Kopf auf die Brille und wartete
     darauf, dass der Schwindel verging.

Mittwoch
    Das New Yorker Verwaltungsgebäude von Thorpe Industries war ein Betonturm ganz in der Nähe der Wall Street. Seine mächtige
     Fassade bot Zugang zu einer Lobby ohne irgendwelche Einrichtungsgegenstände oder Pflanzen, hinter denen man sich hätte verstecken
     können, die reinste Todeszone. Eine erhöhte, halbkreisförmige Empfangstheke beherrschte den ganzen Raum, zu beiden Seiten
     flankiert von Röntgengeräten und Metalldetektoren. Auch wenn keine Gefahr mehr durch einen Angriff der Sowjetunion drohte,
     diese Einrichtung war ebenso nützlich als Schutz gegen die periodischen, nicht zielgerichteten Aggressionen der erwerbstätigen
     Armen.
    »Ich habe etwas für Mr Thorpe«, sagte ich.
    Die Empfangsdame beäugte den weißen Briefumschlag in meiner Hand und fragte sich zweifellos, wie viel Toxin oder explosives
     Material das kleine Objekt enthalten konnte. Sie zeigte auf den Metalldetektor neben ihr. Ich legte den Umschlag auf ein Kunststofftablett
     und beobachtete, wie sie ihn beim Durchlauf durch das Gerät prüfend musterte.
    »Ich schicke ihn nach oben«, sagte sie und warf mir einen Blick zu, der mir nahelegte, mit ein wenig Abstand zu warten. Ich
     trat von der Rezeption zurück und betrachtete die Propaganda an den Wänden.
    Eine große Weltkarte zeigte das Engagement der Thorpe Industries in zwanzig Staaten auf vier Kontinenten. Man sah Fotos von
     potemkinschen Militärstützpunkten, die nach demselben Plan angelegt waren wie die, die ich aus Kuwait kannte. Fotogene Soldaten
     in Messehallen hielten Proviantpakete vonThorpe Industries in die Kamera. Andere Soldaten ruhten in den klimatisierten Kasernenräumen oder waren zusammen mit ihren
     Kameraden beim Kegeln abgebildet. Es war eine Parallelwelt, in der der Militärdienst ein fröhliches, drei Jahre währendes
     Ferienlager war. Die

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