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Den ersten Stein

Den ersten Stein

Titel: Den ersten Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elliott Hall
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ein aufrechter Bürger sind oder nicht, daher müssen wir warten, bis jemand mit den entsprechenden Befugnissen aufwacht.
     Besser auf Nummer sicher gehen. Steht das nicht auf den Plakaten?«
    Pyke antwortete nicht. Ich fragte mich, ob ihm je der Gedanke gekommen war, dass er selbst diese Gesetze einmal gegen sich
     haben könnte. Wahrscheinlich glaubte er nicht einmal jetzt, dass sie sich auf ihn bezogen. Wie er es sah, waren Benny und
     ich korrupte, gottlose Männer. Wir missbrauchten unsere Befugnisse, statt das Gesetz gegen die Menschen einzusetzen, für die
     es gedacht war: Andere.
    Ich zog Benny beiseite. »Hast du was dagegen, wenn ich mich etwas intensiver mit ihm befasse?«
    »Tob dich aus.« Benny schaute auf seine Uhr und fluchte. »Ich fahre heim, um wenigstens noch ein bisschen zu schlafen. Falls
     er dir irgendwie Ärger macht, ruf mich an.«
    Ich füllte mir ein Glas am Wasserhahn in der Küche und nahm eine meiner Schmerztabletten. Pyke beobachtete mich wortlos. Es
     war das zweite Mal in ebenso vielen Stunden, dass ich ihm an einem Tisch gegenübersaß. Dieser hier war aus Ahorn und mit einer
     Plastiktischdecke bedeckt, deren gelbes Karomuster beinahe zu Weiß verblasst war. Eine einzige nackte Glühbirne über uns beleuchtete
     das namenlose Seestück, das an der Wand hing. Pyke hob die Arme, spürte das Gewicht der an seinen Handschellen befestigten
     Kette und legte sie wieder auf den Tisch.
    Er sagte nichts. Pykes Schweigen kam nicht überraschend; schließlich hatte ich ihn bereits einmal aufgenommen. Es war jedoch
     nicht leicht für ihn. Er war jemand, der Zeugnisablegte, man hatte ihm beigebracht, seinen Glauben laut und oft zu verkünden. Er spielte den Stillen, aber das Leuchten in
     seinen Augen war noch immer da. Pyke wollte bekehren; ich musste ihm nur den Vorwand dazu liefern.
    »Sie sind nicht der Typ, der für White arbeitet, was auch immer er Ihnen angeboten hat«, sagte Pyke.
    »Er hat mir keine Wahl gelassen«, antwortete ich. Inzwischen war White von unserer Übereinkunft wohl ebenso begeistert wie
     ich.
    »Es ist noch nicht zu spät für Sie«, meinte Pyke. »Der
Kreuzzug
kann Ihnen seinen Schutz anbieten. Kommen Sie mit mir«, sagte er, die gefesselten Hände ausstreckend, »be reuen Sie Ihre Sünden, und Sie sind frei.«
    »Ich bin ein Sünder«, erklärte ich. »Der Stolz zwingt mich, Bruder Isaiahs Mörder zu suchen. Das macht uns zu Gegnern, oder?
     Außerdem wird der
Kreuzzug
Ihnen, wenn er erst einmal herausfindet, was Sie getrieben haben, nur noch einen Strick zu bieten haben.«
    »Ich habe Bruder Isaiah nicht getötet, ich habe ihn vergöttert«, erklärte Pyke. »Wissen Sie, wo ich war, bevor ich Jesus in
     mein Leben gelassen habe?« Die Frage war eine rhetorische Eröffnung zu einer Leier, die mir schon bekannt vorkam. »Ich wurde
     in einem Trailer in den Appalachen geboren. Mein Vater schoss sich mit einer Schrotflinte in den Mund, als ich sechs war.
     Meine Mutter war eine Alkoholikerin. Wir lebten von der Wohlfahrt und von ein wenig Geld, das meine Mutter durch Methamphetamin-Kochen
     auf unserem Küchenherd verdiente. Jeder, den ich kannte, war ständig betrunken, high oder schwanger. Als ich mit der Highschool
     fertig war, konnte ich mich darauf freuen, für den Rest meines Lebens einen Wischmop zu schwingen oder Regale einzuräumen.
     Das war es, was die säkulare Welt mir bot.
    Eines Tages kam ein Missionar des
Kreuzzugs der Liebe
inunser Städtchen. Er richtete sich in der Baptistenkirche ein und warb mit Plakaten für eine Versammlung am Donnerstagabend.
     Die degenerierten Einwohner lachten zwar alle über ihn, aber da dort sonst nie etwas los war, kamen sie. Der Missionar hieß
     Bruder Michael. Er war ein großer, glatzköpfiger Mann in den Vierzigern und sah vollkommen gewöhnlich aus. Aber sobald wir
     in dem Raum waren, spürten wir seine Präsenz.« Pyke zog das letzte Wort in die Länge, verlieh ihm zusätzliches Gewicht. »Einfach
     nur mit ihm dort zu sein, teilte die Wolke der Verzweiflung schon ein wenig.
    Dann begann er zu sprechen. Natürlich hatten wir die frohe Botschaft schon früher gehört; schließlich konnte man den Fernseher
     anschalten und sie vierundzwanzig Stunden täglich empfangen. Ich hatte sie nie geglaubt, aber Bruder Michael war anders. Er
     war von einem« – Pyke machte eine rhetorische Pause – »Ziel erfüllt. Er sagte uns, Gott habe einen Plan für jeden Einzelnen
     von uns. Ich begann zu begreifen, dass wir uns

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