Den Jakobsweg erfahren
wieder auf den Drahtesel und weiter.
Der Weg führt an der Herberge
vorbei und dann berghoch über den Felsen aus dem Ort heraus. Es ist bereits
Abend, aber für uns ist noch nicht Feierabend.
Als wir die Herberge von Azofra
erreichen, ist es bereits 20:00 Uhr. Auf einem Innenhof sitzen Pilger und ruhen
sich, am kleinen Pool sitzend, von den Strapazen des Tages aus. Man zeigt uns
den Weg zur Rezeption. Wir erwischen die letzten drei freien Betten. Hier
sollten wir offensichtlich hin. Es sind immer 2 Betten in einem kleinen abgeschlossenen
Raum. Ich verliere bei Schnick-Schnack-Schnuck-Spiel und teile das Zimmer mit
einem kleinen Spanier. Der ist Fußpilger und hat einen Rucksack, der so groß
ist, wie er selbst.
Die Handys werden im Flur zum
Aufladen eingesteckt, wir duschen uns schnell und gehen in den Ort zum Essen.
Wir hätten uns zwar in der großen Gemeinschaftsküche auch selbst etwas Kochen
können, aber mangels Vorräte wird daraus nichts. In einem kleinen Straßenlokal
gibt es für 10 € ein Pilgermenü mit Nachtisch. Siggi nimmt als Dessert „Früchte
der Saison“. Wir sind schon gespannt, was das ist. Vielleicht ein
Fruchtcocktail? Nein, ein Apfel mit einem Schälmesser wird gereicht. Timo und
ich bekommen einen Pudding mit Karamell. Den hatten wir schon öfter und der ist
lecker.
Um 22:00 Uhr ist „Einschluss“. Der
Spanier sägt schon leise vor sich hin, ich ziehe mich im Dunkeln um und haue
mich hin.
85 gefahrene km, gesamt 2055 km
6:27 gefahrene Zeit, gesamt 121:53
Stunden
13,5 km/h
Durchschnittsgeschwindigkeit
09.05.2012
Mittwoch
Tag 19
Azofra (E) – Ages (E)
Um 07:00 Uhr stehen wir auf. Ich
versuche mit meinem Zimmergenossen ein kurzes Gespräch, aber es sind leider nur
ein paar Worte, denn er spricht nur Spanisch. Ich wünsche ihm einen „Buen
Camino“ und will ihm beim Aufschultern des Rucksacks behilflich sein. Er
schafft es aber doch allein. Ich denke so bei mir, welch schlimme Sünden jemand
begangen haben muss, dass er so einen schweren Rucksack mit sich schleppt.
Als wir im Innenhof unsere Räder
bepacken, mache ich noch schnell die letzten Logbuchnachträge. Timo und Siggi
flicken die defekten Schläuche am Pool. Das ist einfacher als am Waschbecken
ohne einen Stöpsel.
Dann geht es zu dem Straßenlokal
von gestern, wo wir das Frühstück einnehmen, denn in der Herberge gibt es – wie
gewöhnlich – nichts. Auf der Preisliste wird das für p.P. 3,50 € angeboten. Da
wir es uns mit Brötchen, Spiegelei und frisch gepresstem Orangensaft gut gehen
lassen, werden daraus 10,50 €. Das stößt zunächst auf Unverständnis
unsererseits. Mit der Erklärung des Kellners sind wir dann mehr oder weniger
zufrieden. Siggi meint noch, dass wir uns von 31,50 € in einem
Lebensmittelladen in Saus und Braus hätten eindecken können.
So gestärkt geht es wieder auf die
Piste.
In Santo Domingo de la Calzada
machen wir zunächst eine Pause am Marktplatz. Am Brunnen treffe ich meinen
Zimmergenossen wieder. Der hat es mit seinem Gepäck auch schon bis hier hin geschafft.
In der berühmten Kathedrale holen wir uns einen Stempel. Die Stadt ist für das
Hühnerwunder bekannt. Die Legende erzählt folgendes:
“Eine Familie pilgerte im 15.
Jahrhundert nach Santiago. In Santo Domingo versuchte die Magd des Wirtshauses
den Sohn zu verführen. Dieser wies sie jedoch zurück, worauf hin sie sich für
die Zurückweisung rächte, indem sie ihm einen Silberbecher in sein Gepäck
steckte und ihn am nächsten Morgen des Diebstahls bezichtigte.
Der junge Mann wurde festgenommen
und gehängt, doch bevor die Eltern die Reise fortsetzten, vernahmen sie seine
Stimme, er hinge am Galgen, lebe aber noch, da er vom heiligen Jakobus noch an
den Beinen gehalten würde. Die Eltern eilten sofort zum Richter, der im
Wirtshaus gerade ein Huhn und eine Henne verspeiste. Auf die Erzählung der
Eltern lachte dieser herzhaft mit der abfälligen Bemerkung, ihr Sohn sei
genauso lebendig wie die beiden Vögel auf seinem Teller.
Kaum gesagt, wuchs denen neues
Gefieder und sie flogen davon – womit die Unschuld des Sohnes bewiesen war.”
(Quelle: Yilmaz Günes, abgerufen: 3/2012)
Gut, dass wir nichts mit anderen
Frauen am Hut haben und streng nach dem Pilgercodex leben. An das Hühnerwunder
erinnert ein Käfig mit lebenden Hühnern in der örtlichen Kathedrale.
Eine Besichtigung fällt wegen des
opulenten Frühstücks und der uns sehr hoch erscheinenden Kosten für das
Betreten der Kathedrale leider aus.
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