Den lass ich gleich an
zu bemerken, dass sie innerhalb von Sekunden zur Attraktion des Hotels aufgestiegen war. Ein paar verschlafene Figuren schlurften in Sportschlappen heran und musterten sie überrascht. Kinder zeigten mit Fingern auf sie und riefen: »Die is bestimmt’n Promi!« Zwei kichernde Teenager zückten ihre Handys und fotografierten sie. Und ein sehr, sehr unglücklicher Hausangestellter schleppte sich mit viel zu vielen Taschen und Koffern ab, während er leise auf Spanisch vor sich hin fluchte.
Ich könnte mir den Virus von Fusselbarts Frau ausleihen, überlegte Lulu. Dann liegt Gill den ganzen Tag im Bett, und ich habe Zeit für Alex. Oder sie wird von einem Skorpion gebissen. Nur von einem ganz kleinen. Aber so einfach ging das leider nicht. Und undankbar war es auch.
Wie eine Königin, die in einem Slum gelandet war, betrachtete Gill die Hotellobby. Das hier war nicht ihre Welt. Vermutlich hatte sie eine Wellnessoase erwartet, mit gedämpftem Licht und Designerliegen, auf denen man zur Begrüßung eine Fußmassage anbot. Stattdessen verströmte das Hotel den herben Charme einer Jugendherberge.
Missbilligend musterte sie die verstaubten Kübelpalmen und die Massen von Menschen, die in grellbunter Fallschirmseide an ihr vorüberströmten. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu schließen, hielt sie das alles für ein bedauerliches Versehen.
Lulu wartete, bis ihre Mutter die Sonnenbrille absetzte, dann erhob sie sich langsam. Was hatte Gill bloß vor?
»Kiiind! Da bist du ja!«
Mit weit ausgebreiteten Armen segelte Gill auf ihre Tochter zu und umarmte sie, als hätten sie sich seit Jahren nicht gesehen. Dann küsste sie Lottes Gesicht so ausgiebig, bis es von dunkelrotem Lippenstift bedeckt war.
»Hallo Mutter«, sagte Lulu matt, während sie mit einem Zipfel ihres T-Shirts Lottes Gesicht säuberte. »Also, die Überraschung ist dir wirklich gelungen.«
»Ich habe mir solche Sorgen gemacht«, juchzte Gill. »Warum hast du nicht angerufen? Bist du einsam? Bist du unglücklich?«
Wieder schloss sie Lulu in die Arme, ganz die Rotkreuzschwester für hoffnungslose Fälle. Sie will gar nicht, dass es mir gutgeht, dachte Lulu. Sie will mich lieber retten. Weil ich in ihren Augen so unselbständig bin, dass ich nicht mal einen Urlaub allein hinbekomme.
Sanft löste sie sich aus Gills Umklammerung. »Das kam jetzt aber ziemlich unverhofft«, sagte sie. Und komplett ungelegen, dachte sie. »Wie lange willst du denn bleiben? Das Hotel ist leider total ausgebucht. Aber vielleicht finden wir was in der Nähe.«
Gill rückte ihren Sombrero zurecht, der während der Familienzusammenführung verrutscht war. Sie lächelte schlau.
»Ach, Schätzchen, ich hab damals gleich für mich mitgebucht! Ich lass dich doch nicht allein! Und schon gar nicht an deinem vierzigsten Geburtstag!«
Lulu traute kaum ihren Ohren. So war das also gemeint?Die großzügige Schenkung war ein Familienurlaub mit Anstandswauwau. Das war ziemlich schräg. Und nicht nur das. Um zehn war sie mit Alex am Strand verabredet – und zwar ohne mütterlichen Beistand. Es war ihr schleierhaft, wie sie das schaffen sollte.
»Na, was machen wir denn heute Schönes?«, fragte Gill unternehmungslustig. »Ich wollte immer schon mal ein Tauchtraining ausprobieren. Oder einen Kochkurs in original spanischer Küche. Das wäre auch was für euch. Man kann schließlich nicht den ganzen Tag faul am Strand rumliegen.«
»Lass uns erst mal frühstücken«, schlug Lulu vor, die sich immer elender fühlte. Sie deutete mit einer Hand auf den Eingang zu der gekachelten Hölle, die man in diesem Hotel Restaurant nannte.
»Eigentlich wollte ich mich zunächst etwas frisch machen«, warf Gill ein. »Und meinen Koffer auspacken. Die Seidenblusen verknittern sonst.«
Doch Lulu und Lotte protestierten.
»Ab neun ist das Buffet leer«, erklärte Lulu.
»Um halb zehn muss ich im Club sein«, ergänzte Lotte ernst wie eine Managerin, die einen dringenden Termin beim Aufsichtsrat hatte.
»Aha«, sagte Gill.
Sichtlich ungehalten folgte sie Lulu und Lotte in den morgendlichen Trubel. Selbst für einen hyperaktiven Menschen wie Gill war dies eine Herausforderung. Jugendliche in knallfarbenen T-Shirts rempelten sie an, Mütter mit Löwenblickstürzten an ihr vorbei zum Buffet, sogar Kleinstkinder beherrschten bereits die Taktik, sich mit Hilfe ihrer Ellenbogen durchzudrängeln.
»Sieht aus wie eine Massenpanik, ist aber nur das Frühstück«, rief Lulu ihr über die Schulter zu, während sie
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