Den Löwen Zum Frass
zu jung, die Vorgänge zu verstehen. Weit davon entfernt, König-für-einen-Tag sein zu wollen, bekam unser sprödes Mädchen kaum mit, was passierte, aber Helena und ich alberten fröhlich herum, verteilten Geschenke und hatten unseren Spaß. Julia ließ alles mit großem Ernst über sich ergehen; sie hatte bereits erkannt, dass ihre Eltern vollkommen
verrückt waren. Da wir keine Sklaven besaßen, brachten wir Nux dazu, die Gebieterin zu spielen. Nux kapierte das mit der Aufsässigkeit schnell.
Saturninus und Calliopus hatten beide Rom verlassen, scheinbar für die Feiertage. Als sie nach mehreren Wochen nicht zurück waren, forschte ich nach und fand heraus, dass sie mit ihren Frauen nach Afrika gereist waren. Um Gras über alles wachsen zu lassen, nahmen wir an. Ich fragte im Palast nach, ob wir sie verfolgen sollten, aber da es keine Beweise im Fall Rumex gegen sie gab, ließ Vespasian uns wissen, dass wir uns auf die Arbeit für den Zensus konzentrieren sollten. Was mich nicht überraschte.
»Autsch!«, sagte Anacrites. Ich machte einfach weiter.
Drei Monate lang arbeiteten wir härter als je zuvor. Wir wussten, dass die Goldmine nicht unerschöpflich war. Der Zensus sollte nach einem Jahr beendet sein, und es würde schwer werden, den Termin zu überziehen, falls wir nicht außergewöhnliche Gründe vorlegen konnten. Wir lieferten unsere Berichte laut den Beweisen ab, die wir hatten, und der Schuldige wurde zum Zahlen aufgefordert. Hier reichte bereits ein bloßer Verdacht. Vespasian brauchte das Geld. Handelte es sich bei unserem Opfer um einen wichtigen Mann, war es klug, unsere Anschuldigungen begründen zu können, aber in der Welt der Arena war »wichtig« ein widersprüchlicher Begriff. Also schlugen wir Summen vor, die Zensoren gaben ihre Forderungen bekannt, und die meisten Männer fragten gar nicht erst, ob sie Einspruch erheben konnten. Ja, die Demut, mit der sie unsere Ergebnisse hinnahmen, sagte uns, dass wir die Höhe ihres Steuerbetrugs wahrscheinlich noch unterschätzt hatten. Daher blieb unser Gewissen rein.
Natürlich hatten wir ein Gewissen. Und wir mussten es nur selten hintergehen.
Ich erhielt einen Brief von Camillus Justinus, der inzwischen in der Stadt Oea eingetroffen war, dank des Geldes, das ich ihm geschickt hatte. Nach kurzen Nachforschungen bestätigte er, dass Calliopus keinen »Bruder« hatte, allerdings einen blühenden Handel mit wilden Tieren und Gladiatoren für die örtlichen Spiele betrieb wie auch für den Export; die Kämpfe in der Arena waren in allen Teilen Tripoli- taniens ein äußerst beliebter Sport. Fürchterlich karthagisch. Ein religiöser Ritus, der die echten Menschenopfer ersetzte, zu Ehren des gestrengen puni- schen Saturn - ein Gott, mit dem man sich besser nicht anlegte.
Die von Justinus gelieferten Einzelheiten über die Besitztümer des Lanista in Tripolitanien reichten aus, um unsere Einschätzung seiner hinterzogenen Steuern beträchtlich in die Höhe zu treiben. Als Dank für seine Bemühungen schickte ich dem Ausreißer meine Silphion-Zeichnung, aber kein weiteres Geld. Wenn sich Justinus in der Cyrenaika zum Narren machen wollte, sollte mir keiner die Schuld zuschieben.
Am Tag nachdem ich den Brief weggeschickt hatte, besuchte uns meine Mutter. Wie üblich kramte sie neugierig herum und fand meinen Entwurf für die Skizze.
»Du hast das völlig verkorkst. Das Zeug schaut ja aus wie verschimmelter Schnittlauch. Es hätte mehr wie ein Riesenfenchel aussehen sollen.«
»Woher weißt du das denn, Mama?« Ich war verwundert, dass sich jemand aus dem Gassengewirr des Aventin mit Silphion auskannte.
»Man hackte die Stängel klein und verwandte sie wie Knoblauch; ein echtes Gemüse war es nicht. Und der Saft diente als Arznei. Deine Generation denkt, wir wären alle Dösköppe gewesen.«
»Nein, Mama. Ich dachte nur, ihr hättet sparen müssen, und dieses Zeug ist ein sündteurer Luxusartikel.«
»Tja, ich kenne Silphion. Sacro hat mal versucht es anzubauen.«
Mein Großonkel Sacro, verstorben auf der Suche nach den perfekten falschen Zähnen, war ein außergewöhnlicher Bursche gewesen, eine Belastung für seine Umgebung. Ich hatte den verrückten Experimentator heiß geliebt, aber wie bei Mamas gesamter Verwandtschaft draußen in der Campania waren all seine Pläne lächerlich. Ich hatte gedacht, von den absurdesten gewusst zu haben. Doch nun erfuhr ich, dass er versucht hatte sich in den bekanntermaßen gut geschützten Silphionhandel
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