Den schnapp ich mir Roman
dessen Ausschnitt fast bis zum Bauchnabel reichte. Jack in seinem Smoking neben ihr sah sehr gut aus. Seine grünen Augen waren noch klar und strahlend. Er hatte besitzergreifend den Arm um Caros Schultern gelegt, und sein gepresstes Lächeln deutete an, dass er sie ganz bewusst festhielt.
»Meine Eltern sind unmöglich, nicht wahr?«, versuchte Will es erneut. Dann merkte er, dass man diese Worte fehldeuten konnte, und beeilte sich hinzuzufügen: »Nun, vielleicht nennt man es besser unkonventionell. Sie lieben einander sehr, aber ich fürchte, sie haben auch dauernd Krach. Da Sie schon mal hier sind, möchte ich Sie bitten, sie so wenig wie möglich zu filmen. Ich weiß, dass Clemmie und Rufus die eigentlichen Stars der Sendung sind, aber die Familie wird ja auch ab und zu im Zusammenhang mit dem Haus auftauchen. Meine Eltern … nun … sie machen momentan eine Art Krise durch.«
Wenn er mit Krise meinte, dass Caro den muskulösen Gärtner bumste und Jack hinter jeder Zwanzigjährigen herjagte, dann hatte Will vermutlich Recht. Tessa war überrascht, wie sehr er sie verteidigte. Sicher war es nicht seine Schuld, dass die beiden sich wie zwei Teenager benahmen. Oder war das nur ein weiteres Beispiel dafür, dass er ständig alles kontrollieren wollte? Sie zog verächtlich die Mundwinkel herab.
»Meine Familie ist mir nämlich sehr wichtig, egal, wie sie sich aufführt«, gestand Will, der ihre verächtliche Miene nicht bemerkt zu haben schien. Erschöpft fuhr er sich durch die hellen Haare, so dass sie noch mehr abstanden.
»Es ist wirklich toll zu wissen, dass sie immer für einen da sind, egal, was man im Leben auch anfängt.«
Tessa wandte sich ab, weil sie plötzlich schwer schlucken musste. In ihren Augen brannten Tränen, und sie musste sich fest auf die Unterlippe beißen, damit sie nicht überquollen. Sie hatte keine Familie mehr, seitdem ihre geliebte Mutter gestorben war. Niemals würde sie diese seltsame, unausgesprochene Ergebenheit fühlen, die die Forbes-Henrys ausstrahlten, das unerschütterliche Vertrauen und den Respekt, den sie füreinander hegten, die Nähe, die Außenstehende kaum durchdringen konnten. Wills Verlobte Claudette schien das gelungen zu sein, denn alle sprachen von ihr nur in den höchsten Tönen. Da fiel Tessas Blick auf ein Foto der hinreißenden Claudette in einem asymmetrischen Kaschmirpullover. Grollend gestand sie ein, dass man auch sie herzlich begrüßt hatte, aber das machte ihren Verlust nicht wett und nicht die Einsamkeit, nun keine Familie mehr zu haben.
Tessa starrte auf die Fotos und spürte dabei, wie die Wut auf Will in ihr hochwallte. Er war dermaßen privilegiert und hatte ein solches Glück mit seiner Familie. Nach allem, was sie durchgemacht hatte, schien das irgendwie ungerecht. Ihr war klar, dass es nicht Wills Schuld war, aber in diesem Augenblick machte sie es ihm zum Vorwurf.
»Und Sie … äh … haben Sie auch Familie?«, fragte Will so zurückhaltend, dass es für Tessa so klang, als versuchte er bloß, Konversation zu machen.
»Ich …? Familie?« Tessa lachte über die Frage, aber ihre Stimme klang dabei leicht hysterisch. Sie verdammte den aufsteigenden Schluchzer in ihrer Kehle. »Nein, Gott sei Dank nicht! Mein Vater war schon vor Jahrzehnten verschwunden, und meine Mutter ist im letzten Jahr gestorben. Was natürlich alles viel leichter macht, denn ich reise
beruflich sehr viel, und das ist schwierig, wenn man zu viele Bindungen hat. Eine Familie schränkt viele Möglichkeiten ein, nicht wahr? Man muss sie ständig berücksichtigen, wenn man eine gute Stelle angeboten bekommt, und sie reden einem ständig in alles hinein … nein, so geht es mir viel besser.« Sie hatte keine Ahnung, was sie da vor sich hinschwätzte, wusste nur, dass sie es nicht ertragen konnte, vor Will so verletztlich zu wirken.
»Wirklich?« Will betrachtete sie genauer. Er war nicht sicher, ob er ihr das abnahm. Die Worte klangen ja ganz plausibel, aber Tessas atemlose Redeweise und die leicht feuchten Augen ließen den Schluss zu, dass sie innerlich ganz anders dachte.
Tessa sah die Unsicherheit in Wills dunkelblauen Augen und hasste es, dass er sie vielleicht bemitleidete. Und so hämmerte sie weiter. »Familie spielt in meinem Leben keine große Rolle, okay? Für mich ist nur meine Karriere wichtig. Ich will meine Arbeit so gut wie möglich schaffen … und dabei eine Menge Geld verdienen.« Atemlos brach sie ab und staunte nur, wie glatt ihr diese Lügen über die
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