Den Tod vor Augen - Numbers 2
die andere Richtung, doch ich bin erst ein paar Schritte unterwegs, als mich eine leise Stimme wieder nach Weston zurückführt.
Die Wellen kommen und gehen.
Das Wasser ist nicht einfach verschwunden. Es gibt kein Abflussloch in der Themse. Sie ist ein Fluss, ein Fluss mit Gezeiten. Im Moment ist das Wasser fort, aber es wird zurückkommen.
Und plötzlich ist mein Kopf voller Achtundzwanziger, die ich gesehen habe, in einem wässrigen Tod, mit volllaufenden Lungen, hilflos, ertrinkend.
Ich dreh wieder um und versuche zu rennen, doch der Schlamm ist so klebrig, dass ich mir vorkomme, als ob ich in Zeitlupe laufe. Links von mir höre ich ein Geräusch in der Ferne, ein Grollen und Tosen. Mach schon, mach schon . Ich treibe mich an, hebe erst einen Fuß, dann den andern. Ich muss die Treppe finden, hier rauskommen, dann irgendwo hochklettern, höher hinauf, aus dem Weg.
Doch es ist zu spät. Ich schaue über die Schulter. Ich kann nichts sehen, aber ich hör es. Wassermassen rasen den Fluss hoch, ein Monster, das wütend auf mich zujagt. Ich bleibe stehen wie angewurzelt, sauge einen Atemzug Luft ein, doch das Wasser ist schon da. Es trifft mich, während ich gerade einatme, es reißt mich von den Beinen. Mir bleibt nur, den Mund zu schließen, die Augen zusammenzudrücken, als mein Körper herumgewirbelt wird wie eine Stoffpuppe. Das Wasser hält mich gefangen, bis meine Lunge platzt. Ich kann die Luft nicht mehr anhalten. Ich muss wieder atmen. Ich muss den Mund wieder öffnen.
Ich kann nicht.
Ich muss.
SARAH
Ich habe überall Schmerzen, nicht nur im Kopf. Ich weiß nicht, wo ich bin. Ich glaube, ich liege auf dem Bauch. Die Arme kann ich bewegen, aber nicht meine Beine. Irgendwas ist in meinem Mund, Haare oder Fusseln oder sonst was, das auf der Zunge klebt und mich würgen lässt. Ich versuche, Speichel hochzubringen und so den Mund frei zu bekommen.
Jemand ruft im Dunkeln.
»Adam? Adam?«
Es ist Val. Sie lebt, und ist nicht weit von mir entfernt, doch ich kann sie nicht sehen.
Ich versuche zu antworten, aber meine Stimme kommt nur als ein Flüstern heraus.
Meine Beine sind unter irgendwas eingeklemmt. Ich drehe den Oberkörper ein Stück herum und versuche, mich dagegenzustemmen, zu ertasten, was es ist. Ich kann nichts sehen, aber es fühlt sich an wie einer der Sessel, nicht übermäßig schwer, doch schwierig aus seiner Position zu verlagern. Ich erreiche ihn mit beiden Händen und versuche zu schieben. Er rührt sich ein wenig, und ich schaffe es, meine Beine so umzulegen, dass ich aufrecht sitzen kann. Noch einmal schieben, dann gibt es plötzlich ein scharrendes Geräusch, ein Krachen und meine Beine sind frei. Ein Schmerz schießt durch die Adern nach oben, als ob mir jemand mit fußlangen Nadeln hineinsticht.
»Verdammt!« Das Wort kommt als Schrei raus. Auf einmal ist meine Stimme wieder da.
»Wer ist da?« Val klingt unwirsch und misstrauisch.
»Ich bin’s, Sarah.«
Stille. Dann: »Wer bist du? Was machst du in meinem Haus?«
»Ich bin’s, Val. Adams Freundin. Sarah. Ich bin’s.«
»Wer immer du bist, kannst du mich hochziehen? Ich fühle mich wie ein beschissener Käfer, denn ich lieg hier platt auf dem Rücken.«
Sie klingt, als ob sie nur wenige Meter von mir entfernt ist. Ich trau meinen Beinen nicht, deshalb krabble ich auf allen vieren zu ihr. Unter mir knirschen irgendwelche Dinge, bewegen sich und drücken sich in die Haut, als ich mich vorwärtsschiebe. Vals ganzer Nippes liegt zerbrochen am Boden; ihre sämtlichen Souvenirs und Erinnerungen, all die kleinen Gegenstände, die ihr irgendwann ins Auge fielen. Ich versuche, nicht drüber nachzudenken, als wieder ein Teil unter meinem Knie zerbricht.
Als ich die Hand ausstrecke, berühre ich etwas Weiches.
»Bist du das, Adam?«
»Nein, ich. Sarah.«
»Sarah.«
Sie sagt es bedächtig, als ob sie den Namen in ihr Gehirn einspeist und sich zu erinnern versucht.
»Sarah mit dem Baby«, sage ich. »Sarah, die malt.«
»Sa-rah.« Es klingt, als ob es ihr plötzlich dämmert. »Sarah mit dem Baby.«
»Ja, das stimmt.«
»O mein Gott, ich erinnere mich … Wo ist Adam?«
»Ich weiß es nicht, Val. Sie haben ihn eingesperrt, erinnerst du dich?«
»O Scheiße. Mein Junge. Mein herzensguter Junge.«
»Kannst du dich bewegen? Bist du verletzt? Wir müssen raus hier.«
Das Haus ächzt und stöhnt um uns herum.
»Val«, sage ich, »bist du verletzt?«
»Nein, keine Ahnung. Hilf mir hoch.«
Unsere Hände berühren sich im
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