Den Tod vor Augen - Numbers 2
Hause. Dauert höchstens eine Minute.«
»Nein, Val, schau dir das doch mal an. Es ist hier nicht mehr sicher.«
Sie macht sich trotzdem auf den Weg. Ich laufe ihr hinterher.
»Setz dich einen Moment. Ich werde gehen.«
»Du weißt doch, wonach du suchen musst, oder? Nach einem hölzernen Kasten. Er stand auf dem Kaminsims.«
»Ja, klar. Ich hol ihn.«
Ich mache mich auf den Weg über die Trümmer. Es ist schwer, Halt zu finden. Immer wieder stolpere ich, meine Fußgelenke knicken mal auf die eine, mal auf die andere Seite, wenn der Schutt verrutscht. Die Decke vom Haus ist noch vorhanden, noch. Der Kaminsims ist auf der einen Seite mit der Wand verbunden. Die andere Seite hängt Richtung Boden. Der Teppich ist unter einer Schicht von kaputten Möbeln und Nippes verschwunden. Alles ist von Staub überzogen. Ich beuge mich hinab und wühle in den Sachen.
Die Decke knarrt und eine Ladung Staub geht neben mir nieder.
»Hast du ihn gefunden?«, tönt Vals Stimme über den Schutt hinweg.
Ich antworte nicht. Meine Hände sind schon zerkratzt und wund von den Rettungsversuchen der Nacht. Ich reiße mir die Fingerspitzen wieder auf, als ich weiter wühle. Es ist völlig aussichtslos. Ich will mein Scheitern nicht zugeben, doch jedes neue Ächzen der Decke jagt mir Panikwellen über den Rücken. Ich will hier nicht verschüttet werden.
»Komm raus!«, ruft sie. »Lass gut sein. Ist egal.«
Ich kann den Kasten nicht finden. Ich stehe auf und drehe mich gerade um, als mir etwas ins Auge springt, etwas Weißes, Glänzendes, verkeilt unter einem Bilderrahmen. Ich knie mich nieder und untersuche das Teil – ein kleiner Porzellan-Schwan, ganz heil, wie neu. Ich stecke ihn in die Tasche und suche ein letztes Mal meinen Weg aus dem Zimmer.
Val kommt mir über den Schutt entgegen. Sie legt ihre Hand auf meinen Arm.
»Ich dachte, die Decke kracht runter. Ich dachte, du wirst verschüttet. Das hätte ich mir niemals verziehen. Keine Ahnung, was mich geritten hat, ich selbstsüchtige alte Kuh.«
Hinter mir knarrt wieder der Bau.
»Lass uns weiter weggehen«, sage ich.
Und wir steigen hinab auf die Straße.
»Tut mir leid wegen Cyril«, sage ich. »Aber ich hab das hier gefunden. Es ist nicht kaputtgegangen.«
Ich fasse in meine Tasche und ziehe den Schwan raus, lege ihn Val in die geöffnete Hand. Sie sieht ihn an und streicht mit den Fingern über den ganzen Körper.
»Den haben wir auf der Hochzeitsreise gefunden«, sagt sie leise, sowohl zu sich selbst als auch zu mir. »Eine Woche in Swanage an der Südküste. Die ganzen Tage dort unten war er so scharf wie Chili. Gott, ich dachte, ich würde nie wieder laufen können!« Sie muss wohl merken, wie ich zusammenzucke, denn auf einmal bricht sie in ein kehliges Lachen aus, das in einen Hustenanfall übergeht. »Zu viel Information?«
Ich nicke, zu verlegen, um etwas zu sagen.
»Danke«, sagt sie. »Dafür. Das ist doch was, oder? Auch wenn es schade ist um den Kasten.«
»Es ist nur Asche, Val. Es ist nicht wirklich er.« Ich versuche, das Richtige zu sagen, wenn es in einer Zeit wie dieser so etwas wie das Richtige überhaupt gibt.
»Das weiß ich, Schatz«, sagt sie. »Aber ich hatte auch achttausend Pfund zu ihm mit reingelegt.«
Meine Kinnlade fällt runter.
»Achttausend? Was hast du gemacht? Eine Bank ausgeraubt?«
»Ich nicht, Schätzchen, es war Cyrils Geld. Für schlechte Zeiten, hat er gesagt.«
»Willst du, dass ich noch mal zurückgehe?«
Wir schauen beide hinüber zum Haus. Irgendwo im Innern kracht es auf einmal laut und der Schornstein oben auf dem Dach kippt.
»O Scheiße, es bricht zusammen.«
Der Schornstein fällt zur Seite und schlägt ein Loch ins Dach und dann kracht alles ein, knallt durch den Schlafzimmerboden hinab ins Wohnzimmer. Trümmer fliegen heraus. Instinktiv dreh ich mich weg und lege meine Arme um Val. Es ist wie ein Bombeneinschlag. Staub geht über uns nieder. Lange halte ich den Kopf gesenkt und die Augen geschlossen. Als ich wieder aufsehe und mich umschaue, ist das Haus nur noch ein einziger Trümmerhaufen.
Val ist bleich wie ein Geist.
»Du hättest da drin sein können …«
»War ich aber nicht. Ich bin rausgekommen.«
Ich drücke sie beruhigend, aber ich bebe am ganzen Körper, Arme und Beine zittern hemmungslos. Sie umarmt auch mich, schlingt ihre Arme um mich und wiegt mich sanft hin und her. Dann löst sie sich ein wenig von mir und wischt mir den Staub aus meinem Gesicht.
»Komm, Sarah«, sagt sie. »Wir
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