Den Tod vor Augen - Numbers 2
Wahnsinn, Val. Was ist das?«
»Keine Ahnung, Schatz. Ich hab so was noch nie gesehen. Hast du noch was anderes bemerkt?«
»Was denn?«
»Der beschissene Köter hat aufgehört zu bellen.«
Sie hat Recht. Den ganzen Tag über haben wir sein ständiges Waff, Waff, Waff durch die Wand gehört, doch jetzt ist es still. Alles ist still.
»Dem Himmel sei Dank für kleine Gnaden«, sagt sie. Wir versinken wieder in Schweigen und dann beginnt auf einmal ein winselndes Jaulen.
»Zu früh gefreut. Gott, dieses Vieh ist schrecklich. Ich versteh nicht, was Norma dazu gebracht hat, sich diesen elenden Mops anzuschaffen.«
Und dann folgt der gewaltigste Knall, den ich je im Leben gehört habe, und der Boden bäumt sich unter mir auf, wirbelt mich in die Luft, und ich weiß nicht mehr, wo oben und unten ist. In meinen Ohren knallt es und kracht und splittert. Kopf und Schulter rammen etwas mit voller Wucht. In meinem Kopf taucht ein roter Blitz auf, dann nichts mehr.
ADAM
Die eine Seite meines Körpers ist kalt und nass. Ich zittere, setze mich auf. Über mir explodiert der Himmel: Raketen zerplatzen wie Mörsergranaten, Sterne regnen nieder. Ich seh die Farben vor mir gespiegelt – es ist, als ob ich eingekreist wäre. Es klingt wie auf einem Schlachtfeld. In der Bonfire Night ist es genauso, denke ich. Aber es ist nicht der 5. November. Es ist Silvester. Mitternacht. Es ist nach Mitternacht. Es ist der 1. Januar.
Ich setze die Hände auf den Boden, um mich abzustützen. Ein Armband aus Metall rutscht mein Handgelenk hinab. Ein Armband? Ich trage keinen Schmuck, noch nie. Meine Hände berühren Schleim und ich merke, es ist Schlamm unter den Fingern. Ich bin an einem Fluss, das Wasser ist ein, zwei Meter von mir entfernt.
Ich schaue mich um. Eine weitere Rakete erhellt den Himmel und in ihrem Lichtschein sehe ich einen Lieferwagen auf der Seite neben der Flussmauer liegen. Das Führerhaus ist eingedrückt, die Hecktür steht offen.
Stolpernd komme ich auf die Füße, winsele vor Schmerzen im ganzen Körper. Ich geh ein paar Schritte auf den Lieferwagen zu. Die Sirene schweigt jetzt. In der Nähe liegt irgendein Haufen. Ich hocke mich daneben. Es ist ein Mensch. Eine Leiche. Mein Wärter. Die passende Hälfte der Handschellen hängt noch an seinem Arm, die Kette ist von dem Aufprall gebrochen.
»Tut mir leid, Kumpel«, sage ich. Ich finde keine anderen Worte.
Ich wanke zum Führerhaus. Der Boden ist aufgeweicht. Er zerrt an mir, dass ich das Gleichgewicht verliere. Zwei weitere Leichen im Führerhaus. Die Airbags schön aufgebläht, doch sie haben die beiden nicht gerettet.
Ich wende mich ab.
Verdammt noch mal, wo bin ich?
Ich stolpere vorwärts und meine Hände treffen auf etwas Kaltes, Raues, Glitschiges – die Flussmauer. Ich folge ihr, trete in Abfall und Gott weiß, was es sonst noch am Rand hochgespült hat. Ich stoße auf eine Treppe, breche darüber zusammen, keuche schwer und versuche, in meinem Kopf Ordnung zu schaffen.
Langsam verlieren sich die Feuerwerkskörper, nur noch in der Ferne ein paar Raketen, doch das Wasser schimmert grün und gelb. Absolut unheimlich. Ich schaue nach oben und farbige Bänder glühen und verebben am Himmel.
»Verdammte Scheiße, was …?«, murmel ich vor mich hin und dann hör ich den lautesten Knall, den ich je im Leben gehört habe, der Boden hebt sich unter mir und ich werde in die Luft geschleudert. Ich lande im Wasser, knöcheltief. Der Himmel ist immer noch voller schimmernder Farben und plötzlich ist es das einzige Licht überhaupt.
Alles andere ist verschwunden.
Die ganze Stadt ist dunkel.
Und still. Kein Verkehr, keine Sirenen, nur ein paar Rufe und Schreie, die über den Fluss hallen.
Das Wasser um mich herum verschwindet und saugt etwas von dem Schlamm unter mir mit. Ich hab das Gefühl, in den Boden gezogen zu werden, als ob ich verschwinden würde, verschluckt vom Flussbett der Themse. Es ist wie am Meer, wie in Weston, wenn man am Rand des Strandes steht und die Wellen kommen und gehen und saugen einem den Sand unter den Zehen fort, dass man anfängt zu schwanken.
Das Wasser ist jetzt verschwunden, komplett. Es ist nur noch nasser Schlamm da, kein Fluss. Vorsichtig gehe ich zu der Stelle zurück, wo ich die Mauer vermute. Wenn wir den Fluss überquert haben, muss ich auf die andere Seite, um zu Oma zu kommen. Aber Moment mal. Es ist kein Wasser da. Ich könnte hinüberwaten. Ich muss überhaupt keine Brücke suchen. Ich drehe mich um und geh in
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