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Den Tod vor Augen - Numbers 2

Den Tod vor Augen - Numbers 2

Titel: Den Tod vor Augen - Numbers 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Ward
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füllt sich die Nacht mit Lärm, Sirenen, Schreien. Menschen schreien auf der Straße, Menschen rufen verzweifelt um Hilfe, und plötzlich frage ich mich, ob der Mensch, der Mia hat, jetzt gerade auch schreit. Sind sie irgendwo eingesperrt oder sind sie in Sicherheit? Weint sie oder ist es möglich, dass sie das Ganze verschlafen hat? Oder ist sie schon tot? Ihre Zahl ist in meinen Kopf eingeprägt, die Zahl, die ich in Adams Buch gelesen habe. 01012028. Das ist heute. Das ist jetzt. Vielleicht komme ich ja zu spät.
    »Val«, sage ich, »ich muss Mia suchen. Das ist das Einzige, was jetzt zählt.«
    »Mia«, sagt sie. »Das Baby.«
    »Ja, ich muss dringend zu ihr.«
    »Natürlich«, sagt sie. »Wir sollten schnell aufbrechen. Es ist nur … es ist nur …«
    »Was?«
    »Ich will nicht ohne Cyrils Kasten gehen.«
    Cyril? Cyrils Kasten? Ich möchte schreien. Sie macht sich Sorgen um die Asche von jemandem, der vor Jahren gestorben ist, während ich von meinem Baby gebraucht werde?
    »Val, bitte, lass ihn. Wir werden ihn in dem ganzen Schutt niemals finden. Bitte, ich muss zu Mia.«
    »Es ist das Einzige, was ich noch von ihm habe.«
    Mir ist, als ob mein Kopf jeden Moment explodiert. Das ist doch nicht wichtig. Er ist tot. Aber es ist wichtig.
    »Val, ich fürchte, es ist zu gefährlich, noch mal da reinzugehen. Du wirst den Kasten in der Dunkelheit sowieso nicht finden.«
    »Es wird bald hell. Wir können ja warten, bis es hell ist.«
    Ich versuche, ruhig zu bleiben, doch mit jeder Sekunde, die vergeht, wächst mein Unmut.
    »Ich muss wirklich los.«
    »Wir kommen in der Dunkelheit sowieso nicht weit, es ist viel sicherer, im Hellen zu gehen …«
    Ich schaue die Straße entlang. Durch das Mondlicht ist es nicht komplett pechschwarz. Ich gehe ein paar Schritte über den Gehweg und trete ins Nichts. Der Gehweg ist nicht mehr da. Mein Fuß sinkt, sinkt, sinkt immer tiefer und ich taste wie wild nach etwas, woran ich mich festkrallen, mich wieder nach oben ziehen kann. Schließlich, als ich bis zu den Hüften eingesunken bin, berührt mein Fuß etwas.
    »Scheiße«, schreie ich.
    Und plötzlich ist Val da.
    »Sarah? Sarah? Was ist passiert?«
    Sie erwischt meine Schulter. Ihre knöcherige Hand greift nach mir und hält mich.»
    »Ich bin in irgendwas reingefallen.«
    Sie hilft mir herauszuklettern.
    »Geh nicht, Sarah«, sagt sie. »Geh nicht, bevor es hell wird.«
    Von der anderen Straßenseite ruft jemand.
    »Meine Frau. Sie ist da drin. Helft mir. Helft mir!«
    Mein Herz pocht. Ich weiß, was ich tun werde, und es bringt mich schier um.
    »Bleib hier, Val«, sage ich seufzend. »Ich versuche, den Leuten da drüben zu helfen, und wenn es heller ist, holen wir Cyril raus und dann gehen wir.«
    »Ich kann auch mithelfen«, sagt sie. Also bleiben wir. Wir kriechen über die Straße zu Vals Nachbarn und helfen ihnen, Geröll, Steine und Holz wegzuräumen. Mit vereinten Kräften gelingt es uns, die Frau aus den Trümmern ihres Hauses zu ziehen. Sie ist nicht schwer verletzt, doch sie hat einen Schock. Ihr Mann sitzt in Schlafanzug und Bademantel neben ihr auf dem Gehweg und hält ihre Hand.
    Unsere Augen gewöhnen sich an das schwache Licht, deshalb merken wir kaum, als es anfängt zu dämmern und der Himmel von Schwarz in Grau übergeht. Ich hab nach vorn gebeugt dagesessen, den Kopf in die Hände gestützt, doch mein Rücken tut so weh, dass ich mich aufrichte und umschaue.
    »O mein Gott, Val. O mein Gott.«
    »Was ist? Hast du was gefunden?«
    »Nein. Schau.«
    Auch sie richtet sich auf. Sie legt die Hände auf die Hüften und streckt den Rücken. Dann schaut sie die Straße entlang und ein Laut dringt aus ihrem Mund, ein Laut irgendwo zwischen Seufzer und Pfiff.
    »Großer Gott.«
    Die Häuser um uns herum sind alle zerstört, aber das ist es nicht, was uns entsetzt, sondern die Straße oder, besser gesagt, das Loch, wo früher die Straße war, das Loch, auf das ich schon in der Dunkelheit gestoßen war. Es klafft als zehn Meter breite Schneise hundert, zweihundert, dreihundert Meter weit, als ob jemand das größte Messer der Welt genommen und damit die Oberfläche der Erde aufgeschnitten hätte.
    Ich fühle, wie das Messer auch durch mich hindurchschneidet, und ich weiß, dass ich keine Minute länger hierbleiben darf. Meine Tochter ist irgendwo dort, in dieser zerstörten, aufgerissenen Stadt.
    »Val, bitte, bitte, lass uns von hier verschwinden.«
    »Ja, Sarah, das werden wir. Ich lauf nur noch mal schnell nach

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