Denk an unsere Liebe
rechtschaffene Wut in ihr. So traf sie kampfbereit im Büro des Chefarztes ein.
Aber der Chefarzt sah gar nicht besonders gefährlich aus. Er runzelte zwar ziemlich mürrisch die Brauen, als sie hereinkam, aber Toni ahnte ein ganz kleines Lachfältchen in dem einen Augenwinkel.
„Na, Frau Löngard“, es klang verhältnismäßig ruhig. „Lassen Sie mich nun aus Ihrem eigenen Munde diese fatale Geschichte hören, die Sie da angestellt haben. Auf der zweiten Chirurgischen brennt es immer noch.“
„Zum Kuckuck mit diesen Weibsbildern“, sagte Toni.
„Wie, bitte?“
„Verzeihung, das war eine Randbemerkung.“
„Wen meinen Sie? Frau Rolfsen, Frau Grönberg, oder die Oberschwester?“
Die Stimme des Chefarztes war ganz trocken und sachlich. Und trotzdem schien es Toni, als sei er nicht so schrecklich böse. Ja, sie ahnte hinter der kühlen, korrekten Miene beinahe ein Lächeln oder die Andeutung zu einem Lächeln. „Dieses Mal meinte ich Frau Grönberg.“
Und Toni berichtete nüchtern und sachlich über das, was Frau Grönberg an Greuelgeschichten zusammengebraut hatte und daß ihr der Gaul etwas durchgegangen sei.
„Donnerwetter“, sagte der Chefarzt, „Sie haben sie nicht geschont, die Alte!“
„Nein“, sagte Toni, „ich weiß, das ist unzulässig, und ich weiß, daß mich der Zorn hingerissen hat. Und das schlimmste ist, daß ich es nicht bereue. Aber natürlich hatte ich nicht damit gerechnet, daß sie einen Weinkrampf bekommen würde.“
„Hm“, meinte der Chefarzt. Er schaute Toni an, dann räusperte er sich. „Sie haben Schweigepflicht, Frau Löngard, das wissen Sie doch?“
„Ja, dagegen habe ich noch nie gesündigt.“
„Nein, ich erinnere Sie nur daran. Ich muß nämlich zur Erleichterung Ihres Gewissens gestehen, daß dieser Weinkrampf sehr nahe mit Krokodilstränen verwandt war.“
„Gott sei Dank“, sagte Toni, „sie hätte diese Spritzen also nicht gebraucht?“
„Sie hätte Haue gebraucht!“ sagte der Chefarzt. „Und Sie auch! In Zukunft müssen Sie Ihr Temperament im Zügel halten, Frau Löngard. Und wie Sie sich mit der Oberschwester abfinden werden, ja, das ist Ihre Sache. Sie war nicht gut auf Sie zu sprechen.“
„Und ist es wohl auch jetzt nicht?“
„Gut zu sprechen? Wohl kaum. Aber vielleicht hat sie ihre Auffassung ein wenig geändert, seit ich mit ihr gesprochen habe. Aber das nächstemal hole ich für Sie die Kastanien nicht mehr aus dem Feuer, Sie kleiner Rappelkopf. Doktor Lambert ist auch nicht gerade entzückt von Ihnen, scheint mir.“
„Nein, das ist verständlich. Klar, daß ich der Sündenbock sein muß, wenn er – na, es ist wohl nicht wert, mich darüber weiter auszulassen.“
„Hinaus mit Ihnen“, markierte der Chefarzt. „Gehen Sie in Ihr Büro, stellen Sie sich in einen Winkel, und denken Sie über Ihre Sünden nach.“
Toni ging.
Wenn sie auch nicht sehen konnte, was hinter der geschlossenen Tür im Büro des Chefarztes vorging, so ahnte sie es doch. Der Chefarzt lehnte sich im Stuhl zurück und ließ dem zurückgedrängten Lachen freien Lauf.
Toni war todmüde nach dem ereignisreichen Vormittag, und gleichzeitig war sie aufgedreht.
Es verlangte sie, mit jemand zu reden, ungezwungen zu reden, ohne Rücksicht auf Vorsicht. Es verlangte sie nach Eivind.
„Du kommst spät“, sagte Eivind. Er hatte über eine halbe Stunde mit dem Essen gewartet. Klang ein Vorwurf aus seinen Worten?
„Ja, ich weiß es. Aber du ahnst nicht, was für einen Tag ich hatte. Das mußt du hören.“ Es folgte ein Bericht, hemmungslos und nicht ganz frei von Kraftworten.
Aber Eivind war durchaus nicht so interessiert, wie sie erwartet hatte. Er sah fast ein wenig zerstreut aus. Außerdem war er hungrig und aß eifrig, während sie erzählte.
„Ja, du weißt, jede Arbeit hat ihre Unannehmlichkeiten“, hörte sie zum Schluß seine ruhige Stimme. „Du kannst nicht erwarten, daß deine Krankenhausarbeit ein Tanz auf Rosen sein soll.“
Toni sah ihn an, enttäuscht und verwundert. War das alles, was er ihr zu sagen hatte?
„Heute muß ich ein Mittagsschläfchen halten“, sagte Toni, „ich bin ganz erschossen.“
Sie schlief gut, während Eivind vor dem Kamin saß und meditierte. Ein bitterer Zug war um seinen Mund. Heute hatte er sich mehr denn je darauf gefreut, heimzukommen. Heute hatte er eine so wunderbare Neuigkeit für Toni – und dann hatte sie ihn einfach nicht zu Wort kommen lassen. -Er hatte sich auf dem Heimweg überlegt, wie er es
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