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Denk an unsere Liebe

Denk an unsere Liebe

Titel: Denk an unsere Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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die Schwestern haben keine Zeit.“
    „Soso. Sie sind also so eine Art seelischer Mülleimer, in den die Patienten ihren Seelenballast ausleeren.“
    „Ich danke für den geschmackvollen Vergleich“, lachte Toni. „Aber hören Sie mal zu! Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich in einem Hotel und nicht in einem Krankenhaus. Was würden Sie da verlangen?“
    „Einen Stenografen.“
    „Verflixt!“ sagte Toni. „Stenografieren kann ich nicht. Aber ich schreibe mächtig schnell. Können Sie mich brauchen?“
    „Ach nein. Das muß warten, bis ich aufstehe. Aber, Dank für das Angebot. – Hören Sie da draußen die Schritte? Das ist Schwester Karete. Sie bringt mir mein luxuriöses zweites Frühstück, ein Glas Milch und einen, sage und schreibe, einen Milchkeks. Dann lächelt sie berufsmäßig freundlich und sagt: ,Na, wie geht es uns heute?’ Ich höre an der Stimme, daß sie das an jedem einzelnen Krankenbett sagt. Eines Tages werde ich ihr wohl das Milchglas an den Kopf werfen und sagen, daß sie doch, zum Kuckuck, selbst wissen muß, wie es ihr geht, und daß ich mir verbitte, mit ihr zusammen in der Mehrzahl angeredet zu werden – und im übrigen ist es ihr ja rasend gleichgültig, wie es mir geht. Der Teufel hole diese berufsmäßige Freundlichkeit!“
    Die Tür ging auf, und Schwester Karete kam herein. Auf dem Tablett trug sie ein Glas Milch und ein Tellerchen mit einem Milchkeks.
    „Guten Morgen, Herr Ingenieur. Wie geht es uns heute?“
    Toni wandte sich rasch zum Fenster und mußte mit allen Kräften einen Lachkrampf unterdrücken.
    „Tausend Dank, Schwester Karete“, säuselte Ingenieur Wolter mit Engelsstimme. „Wir haben eine Temperatur von siebenunddreißig fünf, wir haben verhältnismäßig gut geschlafen, wir sind rasiert worden, und wir hatten… Ach, Verzeihung, ich vergaß, daß das Fünkchen noch da ist, den Rest von dem, was wir heute gemacht haben, müssen wir in einem gemütlichen Tête-à-tête besprechen, nicht wahr, Schwester Karete?“
    Schwester Karete blieb einen Augenblick mit offenem Mund stehen, völlig außer Fassung. Sie sah zu Toni hinüber und bemerkte nur einen Rücken mit schwach zuckenden Schultern. Dann murmelte sie etwas und verschwand.
    Toni wandte sich zu dem Patienten um und lachte schallend. „Sie sind wirklich ein schrecklicher Mensch.“
    „Nicht wahr? Jetzt aber muß ich Ruhe haben für meine kulinarischen Genüsse. Ich bin immer ein Feinschmecker gewesen und vertrage keine Störungen, wenn ich speise. Also auf Wiedersehen, kleiner Mülleimer!“
    „Das ist der originellste Kosename, den ich je gehört habe“, kicherte Toni. „Geht es Ihnen jetzt besser?“
    „Großartig. Ich platze vor Gesundheit, sehn Sie das nicht? Aber jetzt raus! Und retten Sie rasch noch ein paar Seelen. Bis Mittag könnten Sie noch leicht drei bis vier Stück schaffen.“
    „Mit der Ihren also fünf“, sagte Toni seelenruhig. „Sehn Sie, jetzt sind Sie wirklich in besserer Laune. Sagen Sie es nur, wenn ich etwas für Sie tun kann. Also auf Wiedersehen und guten Appetit! Sie Menschenfresser, Sie!“
    Sie öffnete die Tür. Da rief Ingenieur Wolter ihr nach: „Fünkchen! Kommen Sie noch mal her!“
    „Nun?“
    „Hören Sie zu! Gehen Sie jetzt zu dem einen oder anderen Arzt, um über mich Bericht zu erstatten? Erzählen Sie, daß Sie mit heftigen Redensarten und berufsmäßiger Lebensfrische den ollen Griesgram von Nummer 32 aufgetaut haben? Oder gebrauchen Sie Ihren Bericht zur Unterhaltung am häuslichen Abendbrottisch?“
    Toni fühlte Zorn in sich aufsteigen. Ihr Gesicht flammte, als sie antwortete.
    „Erstens habe ich Schweigepflicht. Und zweitens würde es mir nicht einmal im Traum einfallen, Begebenheiten aus dem Krankenhaus als Unterhaltung in meinem Privatleben zu verwenden. Und drittens – ja, drittens, ist es so verdammt gemein von Ihnen, so etwas zu sagen, daß mir heute zum zweiten Male eine Ohrfeige locker sitzt.“
    „Zum zweiten Male? Wann war denn das erste Mal?“
    „Das steht nicht zur Debatte! Ich erzähle einem Patienten niemals von einem andern. Aber Sie sprechen von berufsmäßiger Lebensfrische. Jetzt will ich Ihnen etwas sagen, mein Guter. Meine größte Schwierigkeit in dieser Tätigkeit ist es gerade, nicht berufsmäßig zu werden. Ich will in jedem einzelnen Fall etwas von mir selbst geben. Ich will nicht wie Schwester Karete werden und automatisch an jedem Krankenbett fragen: ,Wie geht es uns denn heute?’ Ich habe heute nicht Nummer 32

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