Denkanstöße 2013
überlegen, unser eigenes zuckerfreies Kaugummi zu produzieren. Chicle Gaviotero, wie klingt das?«
Nach dem, was ich als Nächstes sah, klang das durchaus realistisch. Die ehemalige Klinik von Gaviotas war umfunktioniert worden â doch nicht zu einem Forschungszentrum für Heilpflanzen, wie die Gavioteros vor einem Jahrzehnt gehofft hatten. Aufgrund der in den llanos tobenden Gewalt hatten sie auch dieses Projekt verschieben müssen. Doch eine andere Idee, die sie damals diskutiert hatten, versprach nun, neben Kiefernharz, Sonnenkollektoren, Windkraftanlagen und Pumpen, ein gangbarer Weg zu sein, ihr Dorf zu ernähren.
Die Klinik war inzwischen eine Abfüllanlage für Gaviotas-Mineralwasser â dessen Reinheit laut einer Testreihe eines angesehenen japanischen Labors auÃergewöhnlich war. Die junge Direktorin der Anlage, Andrea Beltrán, die mich durch Flaschenreinigungskammern â ehemalige Entbindungszimmer â führte, hatte ich als Abraham Beltráns schüchterne kleine Tochter in Erinnerung. Sie war in der Stadt zur Schule gegangen, doch gleich nach ihrem Abschluss nach Gaviotas zurückgekehrt.
Die maloca , in der die Guahibo-Indianer sich früher in Krankenhaus-Hängematten erholt hatten, fehlte. »Wir mussten mögliche Quellen organischer Verunreinigung minimieren«, erklärte Andrea.
Noch nie war jemand vom Gaviotas-Wasser krank geworden, doch dies war ein Markterfordernis: Gaviotasâ Agua Natural Tropical musste entsprechend den Produktionsregeln der Regierung hergestellt werden, weil ein GroÃteil davon für Restaurants bestimmt war. Im ehemaligen Operationssaal klebte ein Team von Frauen mit »Wok« beschriftete Etiketten auf die Flaschen â für eine moderne Bogotáer Kette, die asiatisches Essen anbot. Anspruchsvollere Geräte zum Abfüllen und Etikettieren würden bald eintreffen. Sie hatten gerade einen Vertrag mit dem Kaffeepflanzer Juan Valdez unterzeichnet, erzählte Paolo, dem Besitzer von Kolumbiens berühmtester Handelsmarke Café de Colombia.
Eine nationale Kette dieses Namens mit Verkaufsstellen, die an die in Seattle ansässige US-Kette Starbucks erinnerte, aber nur Kolumbiens besten Kaffee verkaufte, würde nun ebenfalls Agua Natural Tropical aus Gaviotas anbieten. Paolo reichte mir eine Flasche mit einem Logo, das den schnurrbärtigen cafetero mit Sombrero und Esel zeigte.
»Wasser aus vierzig Meter Tiefe, gefiltert durch hundert Kilometer Sand, das mit keinerlei landwirtschaftlichen Chemikalien in Berührung gekommen und von einem Wald umgeben ist«, prahlte Lugari und kippte den Inhalt seiner Flasche in zwei Schlucken herunter. »Hast du jemals besseres getrunken?«
Auch die Flasche selbst war eine Neuheit: Statt des typischen Zylinders war es ein vierseitiges Prisma mit zwei runden Einbuchtungen auf der einen und gerundeten Ausbuchtungen auf der gegenüberliegenden Seite. Das Design ermöglichte es, die Flaschen so zusammenzustellen, dass sie ineinandergriffen â auf diese Idee war Paolo eines Morgens gekommen, als er den Sohn seiner Haushälterin mit Legosteinen spielen sah. Diese Flaschen lieÃen sich nicht nur viel einfacher transportieren und auf Ladenregalen stapeln, die Kinder sammelten sie auch, statt sie wegzuwerfen.
»Sie nennen sie Legos de los pobres  â Legos armer Leute«, sagte Lugari. Die Gavioteros füllten sie auch mit Sand, um sie wie Ziegelsteine zum Mauerbau zu verwenden.
Genial, gab ich zu. Aber trotz allem: sie waren aus Plastik.
»Wir verwenden wiederverwertbares Polyäthylen.«
»Aber wie viele Menschen verwerten die Flaschen tatsächlich wieder?«
»Das ist Teil unseres Vertrags mit den Juan-Valdez-Restaurants. Jedes Mal, wenn wir eine Ladung liefern, nehmen wir alle leeren Flaschen wieder mit, die die Leute nicht für ihre Kinder aufheben.«
Ein kluger Plan, und der Trick, potenziellen Müll in Kinderspielzeug zu verwandeln, war wirklich bestechend. Dennoch: Plastik war ein Produkt, das auf Erdöl basierte, eines, das die Natur erst noch verdauen lernen musste, und früher oder später würden die meisten dieser Flaschen, wenn nicht gar alle, auf Müllbergen landen, die nicht abgebaut werden konnten.
»Stimmt«, sagte Paolo. »Es sei denn â¦Â«
Nicht zum ersten Mal sah ich, wie ein Geistesblitz seine Augen plötzlich leuchten lieÃ: »Es sei denn,
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