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Denkanstöße 2013

Denkanstöße 2013

Titel: Denkanstöße 2013 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Nelte
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einen Quadratzentimeter einheimischen Walds oder Ackerlands zur Produktion von Lebensmitteln durch Energiepflanzen für Biodiesel zu ersetzen. Zuerst kommen die Münder, dann die Motoren. Aber das tun wir hier auch nicht.«
    Der Unterschied war, so Paolo, dass in Kolumbiens vom Regen ausgelaugter Savanne praktisch keine Bäume, geschweige denn Ackerfrüchte gewachsen waren, bis Gaviotas lernte, hier Pinus caribaea anzupflanzen. Als in ihrem Schatten mithilfe von Samen, die Wind, Vögel und Tiere aus dem Dschungel entlang den Flüssen Orinokiens mitbrachten, ein einheimischer Wald wuchs, hatten sie überlegt, es in den Böden zwischen den Kiefernreihen mit Kaffee und Kautschukbäumen zu versuchen. 2003 lernte Lugari dann während einer USA-Reise in Boulder, wo er eine Rede hielt, Ingenieure der University of Colorado kennen, die ein Gaviotas-Biodieselprojekt vorschlugen.
    Die Ingenieure hatten ihm eine Biodieselanlage gezeigt, die Pflanzenöl und recyceltes Restaurantfett verwendete. Die Technologie schien unkompliziert zu sein. »Ich bin mir sicher, dass wir das auch hier in den Tropen hinkriegen«, erklärte Paolo. Kolumbianische Landbarone züchteten die Afrikanischen Palmen bereits wegen der reichen Ernte an Speiseölen aus ihren Früchten und Fruchtkernen. Warum sollte es nicht auch mit Kraftstoffen funktionieren?
    Ein Jahr später traf ein Freiwilligenteam aus Colorado ein. Innerhalb von drei Wochen baute es zusammen mit den Gavioteros eine Biodieselanlage, die Palmöl verwendete – soweit die Beteiligten wussten, war es die Erste dieser Art überhaupt.
    Sie taten dies jedoch nicht in Gaviotas, sondern in der Fabrik in Bogotá, in der die Gavioteros Sonnenkollektoren, Windkraftanlagen und Pumpen herstellten. Damals waren die Unruhen in Kolumbien stark eskaliert und die llanos um Gaviotas zu gefährlich für ausländische Besucher eines Landes, in dem Entführungen sowohl für die linksgerichtete Guerilla als auch die rechtsgerichteten Paramilitärs zu einem wichtigen Mittel der Geldbeschaffung geworden waren. Da die Lösegelder für Nordamerikaner manchmal eine Million Dollar überstiegen, hätte deren Anwesenheit das schutzlose Gaviotas noch verwundbarer gemacht. Die traurige Berühmtheit der östlichen Savanne als Niemandsland, in dem gesetzlose Banden umherstreiften, war der Hauptgrund dafür, dass Gaviotas seit meinem letzten Besuch nicht so stark gewachsen war wie geplant. Es kursierten jede Menge Gerüchte, dass die eine oder andere Gruppierung um ihrer jeweiligen politischen Ziele willen Massaker an Zivilisten verübt, Kriegssteuern erpresst oder Fahrzeuge beschlagnahmt hatte. Und es war schwierig zu sagen, was davon übertrieben war und was der Wahrheit entsprach. Ein Teil der schlimmsten Gewalttaten wurde in den ölreichen Provinzen Arauca und Casanare nördlich des Vichada verübt, doch galt das gesamte llano als gefährlich.
    Dass Gaviotas von dem Chaos, unter dem andere Teile des Landes litten, verschont wurde, lag vielleicht daran, dass die Gemeinde unbewaffnet blieb. Dennoch verkaufte sie die Laster, die einst das Kiefernharz zum Markt transportiert hatten, und heuerte Speditionen an, die sich für das Risiko, die gefährliche Strecke zwischen dem Vichada und Bogotá zurückzulegen, entsprechend bezahlen ließen.
    Zu Beginn des 21. Jahrhunderts führte Kolumbiens anhaltende Tragödie erneut zur Vertreibung großer Bevölkerungsgruppen: Die Zahl der Binnenflüchtlinge überstieg die 2-Millionen-Marke; mehr hatte damals nur der Sudan. Mindestens 1,5 Millionen Menschen verließen Kolumbien. Da so viele Menschenrechtler, Journalisten, Gewerkschaftsführer und sogar unschuldige TV-Persönlichkeiten ermordet wurden – Letztere vermutlich deswegen, weil ihre Berühmtheit die Aufmerksamkeit auf die Forderungen der Täter lenkte –, hielt sich Gaviotas so bedeckt wie möglich. So wie der Plan, das Satellitendorf Odisea zu gründen, wurde auch die Einrichtung einer Gaviotas-Internetseite verschoben: Je weniger man auffiel, desto besser – darin waren sich alle einig.
    Doch ihr Überleben hing nach wie vor davon ab, dass sie sich ihren Lebensunterhalt verdienten, was nicht gerade einfach war, wenn ihre Kiefernharzkunden in einer finanziellen Krise steckten, die sich mit den zunehmenden Unruhen im Land noch verschärfte. »Wir haben viel Phantasie

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