Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben
Jahren 1801 und 1802 werden Charlotte und Amalia, zwei weitere Schwestern Karolines, der sogenannten »Auszehrung«
zum Opfer fallen.
Karoline von Günderrode hat ein apartes Äußeres. Ihre Freundin Bettine von Arnim hat sie nach ihrem Tod in ihrem Briefroman
Goethes Briefwechsel mit einem Kinde
genau beschrieben: »Sie war so sanft und weich in allenZügen, wie eine Blondine; sie hatte braunes Haar, aber blasse Augen, die waren gedeckt mit langen Augenwimpern; wenn sie lachte,
so war es nicht laut, es war vielmehr ein sanftes, gedämpftes Gurren, in dem sich Lust und Heiterkeit sehr vernehmlich aussprach;
– sie ging nicht, sie wandelte, wenn man verstehen will, was ich damit auszusprechen meine.« 2
Eine Spur Idealisierung steckt wahrscheinlich in dieser Charakterisierung, sieht Bettine in der Freundin doch das, was sie
selbst nicht ist: eine sanfte, anmutige Person, deren Füße die Erde nicht eigentlich berühren. Diese Karoline hat etwas Schwebendes,
Überirdisches. Einen Nachteil bringt das sanfte, weiche Aussehen allerdings für sie: Sie wird von ihrer Umgebung unterschätzt.
Denn hinter diesem anmutigen Äußeren verbirgt sich eine Person mit einem abgründigen und widerspenstigen Inneren, die zudem
mit einem scharf denkenden Verstand ausgestattet ist. Diese Mischung wird selbst ihre besten Freunde zeitlebens aufs Höchste
verwirren.
Das ist verständlich, wenn man bedenkt, wie Frauen sich zu jener Zeit zu benehmen hatten. 1803 lässt uns der romantische Dichter
Clemens Brentano, seit drei Jahren befreundet mit Karoline von Günderrode, in einem Brief an seine Schwester Gunda teilhaben
an seinem Blick auf die Frau, und zeigt sich damit voll und ganz als Kind seiner Zeit: »Alles, was ihr tut, muss Liebreiz
werden oder Pflege und hängt einzig mit eurer Bestimmung zusammen, uns zu locken und aus dem Staat in jedem Augenblick zum
bloßen Leben zurückzuführen und dann Mutter zu werden.« 3
Dem kann und will Karoline von Günderrode nicht entsprechen. Sie hat durchaus viel Familiensinn, immerhinist sie lange Zeit für ihre Geschwister fast Mutterersatz gewesen. Genauso stark entwickelt ist aber ihr forschender Verstand.
In ihrem Bildungsbestreben sind deutliche Parallelen zu ihren Vorfahren festzustellen. Geschichte, Literatur und Philosophie
sind die Gebiete, die sie am meisten interessieren. Die Zeit, in der sie lebt, ist besonders reich an genialen Philosophen
und Dichtern. Dabei herrscht aber keine Eindeutigkeit in der geistigen Ausrichtung. Eine für die Philosophiegeschichte ungemein
wichtige Strömung ist der Idealismus, dessen Vertreter davon ausgehen, dass die gesamte Wirklichkeit metaphysisch, das heißt
von jenseits des sinnlich Gegebenen aus, erkannt und begründet werden muss. Am weitesten hinein in metaphysische Bereiche
wagt sich Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 – 1831). Kein Philosoph vor ihm und nach ihm hat ein derart schlüssiges, in sich fest gefügtes Denksystem geschaffen. Er gehört
dem »Objektiven Idealismus« an. Im Gegensatz zu ihm ist ein zweiter Vertreter des Idealismus zu sehen: Johann Gottlieb Fichte
(1762 – 1814). Er überhöht das Ich des Menschen, die Subjektivität, bis diese zu einer metaphysischen Instanz wird, und geht so weit
zu sagen, alles Wirkliche sei eine »Setzung« des Ich.
Karoline von Günderrode liest sie beide. Außerdem beschäftigt sie sich mit Dichtung von Friedrich Schiller, Friedrich Hölderlin,
Novalis, Johann Wolfgang von Goethe und Clemens Brentano.
Dabei ist sie gerade einmal neunzehn Jahre alt, ein für damalige Verhältnisse so genanntes »altes Mädchen« mit wenig Chancen
auf eine gute Partie. Eine Heirat gilt als einzige wirklich sichere Quelle des Glücks, wobei man die Liebesheirat mittlerweile
als Möglichkeit akzeptiert. Für Karoline von Günderrode ist neben der finanziellen Misereaber noch ein zweites Problem vorhanden. Die Männer, auch wenn sie auf dem Papier und in ihren Reden die kühnsten Gedanken
äußern, wollen als Ehefrau doch lieber ein, wenn auch nicht ungebildetes, so doch »gezähmtes« Weib. Günderrode hat für die
Zeit höchst »unweibliche« Gedanken. Ihr Verstand will sich nicht in den Grenzen der Schicklichkeit halten.
1797 ergibt sich für die Mutter eine wunderbare Möglichkeit, die unangepasste Tochter loszuwerden. Im Cronstetten-Hynspergischen
Stift zu Frankfurt, in dem die Familie von Günderrode auf drei Stiftsplätze Anspruch hat, wird
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