Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben
solcher hat er die Aufgabe, diese Geworfenheit anzunehmen und aktiv
zu werden, was heißt, selbst Entwürfe zu wagen. Grunderfahrungen wie Angst, Langeweile, Sprache und Gewissen werden genau
analysiert.
Hannah Arendt ist eine hoch begabte und aufmerksame Studentin, sie ist vor allem auch auf Selbstständigkeit bedacht. So ist
es für sie schwer erträglich, dass es Heidegger ist, der in dieser Liebesbeziehung die Regeln festlegt. Er bestimmt, wann
und wo sie sich treffen, und ist peinlich darauf bedacht, seine Ehe und sein Ansehen in der Öffentlichkeit nicht zu gefährden.
Sie verständigen sich mit geheimen Zeichen, wie zum Beispiel einem geöffneten Fenster oder einer brennenden Lampe. Arendt
erträgt solche Heimlichtuereien nicht lange und verlässt, auch auf Anraten des Geliebten, 1925 Marburg, um zunächst nach Freiburg im Breisgau, zu Husserl, zu gehen und bald darauf nach Heidelberg zu Karl Jaspers.
»Sehen Sie, wo Jaspers hinkommt und spricht, da wirdes hell.« 4 So äußert sich Arendt über ihren Lehrer und Freund. Jaspers ist ein Philosoph, dem Denken Dialog bedeutet. Für ihn eröffnet
sich im Gespräch der Raum, in dem die Philosophie lebendig sein kann. Jaspers sammelt keine Jünger um sich, er will die Studentinnen
und Studenten zum kritischen, selbstständigen Fragen erziehen. In seinem Denken beschäftigt er sich vor allem mit existenziellen
Grenzerfahrungen, die die Philosophie herausfordern, wie zum Beispiel Tod oder Schuld. Was echte Kommunikation ist und was
sie bedeuten kann, lernt Arendt bei einem Philosophen kennen, der nicht nur theoretisch darüber reflektiert, sondern sein
Leben danach ausrichtet. Das beeindruckt die junge Studentin ungemein. Praktisch vaterlos aufgewachsen, wird sie im Hause
Jaspers wie in einer Familie aufgenommen. Später sagt sie, Jaspers habe sie »zur Vernunft« gebracht. Auf ihr Denken nimmt
Jaspers keinen geringeren Einfluss als Heidegger.
In Heidelberg geht es geselliger zu als in Marburg. Kontaktfreudig wie sie ist, findet Arendt auch hier schnell Anschluss.
So hat sie eine Zeit lang eine engere Beziehung zu dem späteren Germanistikprofessor Benno von Wiese. Seit der Affäre mit
Heidegger hat Arendt viel an Selbstbewusstsein und Menschenkenntnis gewonnen und so kann Wiese sie nicht über seinen wahren
Charakter hinwegtäuschen. Er ist ein Mann, der ganz bestimmte Vorstellungen davon hat, wie eine Frau sein sollte. Arendt entspricht
seinen Wünschen nicht optimal, obwohl er die »suggestive Kraft, die von ihren Augen ausging«, lobt. In seiner Autobiografie
schreibt er später über sie: »Triebhaft war sie nicht, wohl aber schwärmerisch. So groß und reich dieses weibliche Gefühlssensorium
auch war, die völlige Hingabe an das männliche Du konnte ihr trotzdem nichtgelingen, weil sie gegen ihren Willen stets dominieren musste. So weckte sie bei den intellektuellen Männern, die enger mit
ihr verbunden waren, ein Bewusstsein der Unterlegenheit. Auch ich musste dauernd dagegen ankämpfen.« 5 Er hält die Beziehung zu einer Frau, die sich von ihm nicht dominieren lässt, nicht aus.
Arendt ist zu dieser Zeit nach allen Seiten hin offen. Sie hat Kontakt zu dem Zionisten Kurt Blumenfeld, ohne jedoch selbst
Zionistin zu sein. Für das Ziel der Zionisten, ins Land Israel zurückzukehren, hat Arendt keinen Sinn. Die Menschen sind ihr
jederzeit wichtiger als die Organisation, der sie sich zugehörig fühlen. Ob jemand Kommunist ist oder Zionist, spielt für
sie keine Rolle, ob er aber gesprächsbereit ist, darauf kommt es an. Kurt Blumenfeld ist ein humorvoller, selbstkritischer,
aufgeschlossener Mensch und daher für Arendt ein guter Gesprächspartner.
Arendt promoviert bei Jaspers mit einer Arbeit über den
Liebesbegriff bei Augustin.
Augustinus (354 – 430) wird ihren weiteren Denkweg begleiten. Dass bei ihm Leben und Denken stets Hand in Hand gehen, kommt Arendts eigener
Auffassung entgegen. »Ich glaube nicht, dass es irgendeinen Denkvorgang gibt, der ohne persönliche Erfahrung möglich ist.« 6
Nach der Promotion 1928 kehrt Arendt zurück nach Berlin. Dort trifft sie Günther Stern wieder, den sie seit der Zeit in Marburg
kennt. 1929 heiraten sie, ein wenig überstürzt, wie es den Anschein hat.
Günther Stern kommt wie Arendt aus einer aufgeklärten jüdischen Familie. Auch er hat Philosophie studiert und bereits bei
dem Freiburger Philosophen Edmund Husserl promoviert. Stern wird später
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