Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben
Männlichkeit mächtig. Wegen seiner schicken Kleidung spricht sie ihn mit »Monsieur« an. Von Anfang
an ist ihre Beziehung durch ein hohes Maß an Humor geprägt. Neben dem ansprechenden Äußeren fasziniert Arendt vor allem auch
Blüchers unabhängiges Denken.
Heinrich Blücher ist Autodidakt. 1899 als Arbeiterkind in Berlin geboren, hat er einen ganz anderen Bildungsweg durchlaufen
als Arendt. Eine Zeitlang war er Mitglied der Kommunistischen Partei, zeichnete sich aber auch hier als ausgesprochener »Selbstdenker«
aus. Mit ihm kann Arendt über alles reden. Bald schon sind die beiden ein Liebespaar, und Arendt lässt sich von Günther Anders
scheiden. Heinrich Blücher schreibt die schönsten Liebesbriefe, völlig unsentimental und doch voller Leidenschaft. Er freut
sich an allen Eigenschaften seiner Geliebten, an ihrer Denkkraft, ihrer Liebe zur Dichtung, ihrem Dickschädel und dass das
alles in ihrer Person so wunderbar durcheinander, wirbelt.
1939 bricht der Krieg aus und die Lage in Frankreich wird für Juden und Personen mit »zweifelhafter« politischer Vergangenheit
noch unsicherer. Hannah Arendt und Heinrich Blücher werden in Lagern interniert, Blücher im Lager Villemalard, Arendt im Lager
Gurs. Arendt befindet sich trotz ihrer neuen großen Liebe auf einem seelischen Tiefpunkt und denkt sogar an Selbstmord. Die
Zustände in Gurs sind furchtbar. Die Lagerinsassin Lisa Fittko beschreibt sie in ihrem Buch
Mein Weg über die Pyrenäen:
»Es war verboten, durch den Stacheldraht mit den Frauen in den umliegenden Abteilungen zu sprechen. Es war verboten, Zeitungen
zu bekommen. Der Empfang von Postwar verboten und wir konnten keine Post verschicken. Alle Verbindung mit der Welt war verboten.« 9
Arendt hatte das Glück, sich Entlassungspapiere beschaffen zu können. Gleichzeitig wird Blüchers Lager evakuiert und so treffen
beide wieder zusammen, heiraten 1940 und emigrieren im Mai 1941 in die USA. Auch Martha Arendt hat Erfolg mit ihrem Ausreiseantrag, folgt jedoch erst einige Wochen später. Walter Benjamin geht es nicht
so gut wie seinen Freunden. Er bekommt kein Visum für die Vereinigten Staaten, versucht über die Pyrenäen zu fliehen und bringt
sich, nachdem die Flucht zu scheitern droht, in dem spanischen Grenzort Port-Bou um. Den Blüchers hat er wichtige Manuskripte
anvertraut.
In New York, wo Arendt bis zu ihrem Tod leben wird, lebt sie sich sehr schnell ein, obwohl sie mit ihrem Mann nur ein schäbiges
möbliertes Zimmer in der 95. Straße mieten kann. Die Mutter wird in einem extra Zimmer untergebracht. Um zu Geld zu kommen, dürfen die Emigranten bei der
Suche nach einem Job nicht wählerisch sein. Blücher hat damit seine Probleme und zieht es vor, ohne Geld in der Wohnung zu
sitzen und Bücher zu lesen. Arendt hingegen nimmt eine Arbeit an als Au-pair-Mädchen bei einer Familie in Winchester, Massachusetts.
So lernt sie ziemlich schnell Englisch, was von den Emigranten auch erwartet wird. Blücher bleibt länger ein Fremdling in
der »Neuen Welt«, entschließt sich aber endlich doch, Englischkurse zu nehmen, und schreibt Reden für ein Komitee, das Amerika
zum Kriegseintritt bewegen will.
Ein Dauerkrisenthema in der Familie ist die Beziehung zwischen Heinrich Blücher und Martha Arendt. Dass ihre Tochter unbedingt
einen Mann aus dem Arbeitermilieu heiraten musste, will ihr absolut nicht einleuchten. Indiesem Punkt ist die sonst so offene Frau intolerant und hart. In ihrem Tagebuch hatte sie ja die Fortschritte ihrer Tochter
minutiös aufgezeichnet und ist so der Meinung, dass Menschen nur dann eine umfassende Bildung erhalten, wenn sich im Kindesalter
die Eltern intensiv darum kümmern. In diesem Autodidakten hingegen sieht sie nichts als einen ungehobelten Kerl, der nicht
zu ihrer Hannah passt. So ist das Zusammenleben der drei Emigranten längst nicht immer eitel Sonnenschein.
Arendt arbeitet bei der Wochenzeitung
Der Aufbau,
die sich an deutschsprachige jüdische Flüchtlinge wendet. Über fünfzig Artikel wird sie in den kommenden Jahren verfassen.
Außerdem ist sie Lektorin beim Verlag Schocken Books. Dort begegnen ihr wieder einer Menge interessanter Leute.
Das wahre Gesicht des Nationalsozialismus erkennen die Emigranten 1943. Erst zu diesem Zeitpunkt dringen die Nachrichten vom Massenmord an den Juden bis in die USA. »Das war wirklich, als ob der
Abgrund sich öffnet.« 10 Auch in diesem furchtbaren Moment
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