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Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben

Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben

Titel: Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Gleichauf
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Zusammenhang gebracht, das ist hochgefährlich. Als
     am 27.   Februar der Reichstag brennt, ist Arendt klar: »Wenn man als Jude angegriffen ist, muss man sich als Jude verteidigen.« 7
    1933 ist für Hannah Arendts politisches Engagement das entscheidende Jahr. Sie hat begriffen: Sie muss handeln! Sie kann sich
     nicht mehr auf die theoretische Arbeit beschränken. Denn inzwischen hat Arendt geradezu einen Horror vor den Intellektuellen.
     In der Rückschau sagt sie über manche von ihnen: »Zu Hitler fiel ihnen was ein. Und zum Teil ungeheuer interessante Dinge!
     Ganz phantastisch interessante und komplizierte! Und hoch über dem gewöhnlichen Niveau schwebende Dinge! Das habe ich als
     grotesk empfunden. Sie gingen ihren eigenen Einfällen in die Falle, würde ich heute sagen.« 8
    Hannah Arendt engagiert sich bei den Zionisten. Mit deren Wunsch, nach Israel auszuwandern, kann sie zwar
geschichte einer deutschen Jüdin aus der Romantik
nach wie vor nicht viel anfangen, aber ihr gefällt, dass diese Bewegung der Stärkung des jüdischen Selbstbewusstseins eine
     so große Bedeutung zumisst. Zur gleichen Zeit tritt groteskerweise ihr ehemaliger Lehrer und Geliebter Martin Heidegger in
     die »Kulturpolitische Arbeitsgemeinschaft deutscher Hochschullehrer« ein. Er wird am 21.   April 1933 zum Rektor der Universität Freiburg gewählt. Schon lange ist er der Meinung, die Universität brauche eine Erneuerung.
     Allerdings erweisen sich seine komplizierten Gedankengänge als nicht kompatibel mit dem, was die Nationalsozialisten wollen.
     Heidegger tritt im April 1934 als Rektor der Universität zurück. Er wird nie Stellung nehmen zu seiner Haltung während des
     Nationalsozialismus.
    Der Zionist Kurt Blumenfeld hat eine Aufgabe für seine alte Freundin: Arendt soll dabei helfen, eine Sammlung deutscher antisemitischer
     Äußerungen anzulegen, um dem Ausland einen Einblick in die nationalsozialistischen Machenschaften zu ermöglichen. Arendt recherchiert
     vor allem in Bibliotheken und ihre Sammlung wächst kontinuierlich. In diesem Zusammenhang wird Arendt verhaftet und kommt
     für acht Tage ins Gefängnis. Dem zuständigen Polizisten erzählt sie Lügengeschichten, die der ihr glaubt. Nach der Entlassung
     ist ihr der Boden in Deutschland zu heiß geworden und so flieht sie mit ihrer Mutter nach Paris. Auch hier engagiert sich
     Arendt tatkräftig: Sie unterstützt jüdische Flüchtlinge bei ihrer Suche nach Beschäftigung und arbeitet bei der Kinderhilfsorganisation
     Jugend-Alija mit, die jüdische Kinder nach Palästina bringt.
    Was aber ist aus der Philosophin Hannah Arendt geworden? Hat sie das Denken aufgegeben? Dem widersprechen einige der neuen
     Kontakte, die sie pflegt. Eine der fruchtbarstenBeziehungen in Arendts Leben ist die zu Walter Benjamin, dem 1892 geborenen Philosophen, den sie in Paris kennenlernt. Der
     Bau eines philosophischen Systems liegt ihm genauso fern wie Arendt. Sie ist fasziniert von seiner Methode, sogenannte »Denkbruchstücke«
     aus der Geschichte des Denkens neu zu montieren und dadurch überraschende Konstellationen zu entwerfen. Geschichte ist für
     Benjamin nicht eine logische Kette aus folgerichtigen Ereignissen, sondern eher eine Art Trümmerhaufen. Er liebt es, einzelne
     Bruchstücke aus diesem Trümmerhaufen in sein eigenes Denken aufzunehmen und neue, ungeahnte Verbindungen herzustellen.
    Benjamin liebt Zitate über alles, und genau hier liegt die Verbindung zu Arendts Arbeitsweise: Sie hat diese Methode in ihrem
Varnhagen -
Buch bereits praktiziert. Ihr gutes Gedächtnis für einmal Gelesenes oder Gehörtes hilft ihr dabei. Die Einarbeitung von Gedichten,
     Prosastellen, Dramentexten, einzelnen Gedankenblitzen aus der Philosophiegeschichte geschieht im
Varnhagen -
Buch zum ersten Mal und wird auch das Eigentümliche der folgenden Schriften ausmachen.
    Grundsätzlich kann man sagen, dass Arendt von den Menschen, mit denen sie befreundet ist, am meisten lernt. Im Gedankenaustausch
     mit anderen bilden sich ihre philosophischen Grundansätze aus. Dass sie Walter Benjamin kennenlernen konnte, ist ein großes
     Glück. Auch er ist verunsichert durch die Zeitumstände, fühlt die Bodenlosigkeit der eigenen Existenz.
    Benjamin ist aber auch in privater Hinsicht ein Glücksfall für Arendt: In seiner Wohnung begegnet sie einem Mann, der sich
     als deutscher Kommunist illegal in Paris aufhält. Sein Name ist Heinrich Blücher und er beeindrucktArendt mit seiner gepflegten

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