Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben
seinen Namen ändern und sich Günther Anders nennen.
Unter diesem Namenveröffentlicht er viele Bücher, die sich vor allem mit dem Thema Technik und Verantwortung befassen. Mit ihnen erreicht er
ein großes Publikum. Stern hat während des Studiums üble antisemitische Erfahrungen gemacht. Außerdem fragte ihn, den Juden,
bei einem Spaziergang Heideggers Frau Elfride, ob er nicht der nationalsozialistischen Bewegung beitreten wolle. Stern riet
der Dame, ihn doch genau anzuschauen, denn er gehöre zu der Gruppe von Leuten, von denen sie den Erdball erlösen wolle.
Das Ehepaar Stern-Arendt lebt sich relativ schnell auseinander. Günther Stern hat andere Freunde als Hannah Arendt und muss
weit stärker um Erfolg ringen als seine Frau. Er versucht, sich in Frankfurt bei dem Philosophen Theodor Wiesengrund Adorno
(1903 – 1969) zu habilitieren, und scheitert an dessen komplizierter Persönlichkeit. Arendt kann Adorno nicht ausstehen und macht
kein Hehl daraus, indem sie betont, dass ihr dieser Herr nicht ins Haus komme. Adorno ist in ihren Augen ein geistreicher
Vielschwätzer, ein intellektueller Spinner. Dass ein solches Urteil sie daran hindert, sich mit seiner Philosophie intensiver
zu befassen, liegt auf der Hand. Ihre frühe Kant-Lektüre hat sie gelehrt, dass die Philosophie den Bezug zwischen Denken und
Handeln immer miteinzubeziehen habe. Adorno vernachlässigt ihrer Meinung nach diesen Aspekt und lebt in einem Wolkenkuckucksheim.
In der Tat legt Adorno seine hochkomplizierten Gedanken in vielfach verschachtelten Sätzen nieder. Über die Qualität seiner
Philosophie sagt das aber nichts aus. Hannah Arendt ist hier ein wenig voreilig in ihrem Urteil. Immerhin ist Adorno der Mitbegründer
einer wichtigen philosophischen Richtung des 20. Jahrhunderts, der »Frankfurter Schule«.
Die Zeiten werden schwieriger. Wirtschaftlich geht es zunehmend schlecht, und die Arbeitslosenzahlen sind hoch. Kulturell
ist Berlin aber immer noch eine schillernde Stadt. Theater, Film und Musik täuschen einen Glanz vor, den es nur noch in der
Kunst gibt, während der Alltag von wachsender Not geprägt ist. Als Jude ein normales Leben zu führen, ist fast unmöglich geworden.
Auch das Ehepaar Stern muss sich enorm einschränken. Beide schreiben Artikel für Zeitungen, aber das verbessert die finanzielle
Situation nicht maßgeblich. Trotz des wachsenden Antisemitismus ist Arendt noch nicht bereit, sich aktiv am Widerstand zu
beteiligen. Ihr Sinn für die politische Aktion ist noch nicht stark genug, sie ist zu dieser Zeit vor allem Intellektuelle,
stille Beobachterin, nicht engagierte Akteurin.
Da kommt ihr ein Stipendium gerade recht, das es ihr ermöglicht, sich einem Projekt zu widmen, das bereits während der Arbeit
an der Dissertation in ihr gekeimt hatte: Sie beginnt, ein Buch über die jüdische Salonière Rahel Varnhagen (1771 – 1833) zu schreiben. Ihr ist klar, dass dieses Thema mit ihr selbst zu tun hat. Sie wählt nicht umsonst eine Frau aus, die
ihr Leben lang die Auseinandersetzung mit ihrem Judentum suchte. Varnhagen hat sich erst ganz am Ende ihres Lebens wirklich
als Jüdin akzeptiert. Lange Zeit glaubte Arendt, durch Heirat und Taufe ihre Herkunft abwerfen zu können. Beeindruckend für
Arendt ist Varnhagen aber auch in anderer Weise: Sie eröffnete 1793 in der Berliner Jägerstraße einen Salon, in dem sich Persönlichkeiten
der Zeit trafen. Jeder kam mit jedem ins Gespräch über Kultur und Politik und keiner brauchte sich zu verstecken.
Hannah Arendt hat mit ihrer
Rahel Varnhagen. Lebensgeschichte
einer deutschen Jüdin aus der Romantik
kein leicht lesbares Buch geschrieben. Bereits in diesem Werk zeigt sich ihre große theoretische Begabung. Die Leser erfahren
eine Menge über die vielfältigen geistigen Strömungen in der Zeit der Romantik. Vor diesem Hintergrund erscheint die Gestalt
der Rahel Varnhagen einerseits als Kind ihrer Zeit und andererseits als Frau, die von der Vision eines freien Lebens beflügelt
wird. Jüdin sein zu können ohne politische und gesellschaftliche Hindernisse, davon träumt sie.
Trotz der Begeisterung, mit der sie dieses Buch schreibt, fühlt Arendt sehr bald das Bedürfnis, sich stärker praktisch zu
betätigen. Dieses Bedürfnis wird dringender, als Günther Stern im Februar 1933 aus Deutschland fliehen muss, weil man in Brechts
Adressbuch seine Anschrift gefunden hat. Er wird mit den Kommunisten in
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