Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben
etwas, worauf Verlass ist.« 14 Die sonst so selbstbewusste und starke Arendt braucht die Anteilnahme ihres »Stups«, wie sie Blücher zärtlich nennt.
Auch Martin Heidegger besucht Arendt zu dieser Zeit. Zu dessen Frau Elfride, ehemals überzeugte Nationalsozialistin und lebenslange
Antisemitin, ist das Verhältnis verständlicherweise gespannt. Arendt bezeichnet Elfride Heidegger als »saudämlich«, und wenn
wir uns an ihr Urteil über Adorno erinnern, so haben wir hier wieder einmal ein Beispiel für die schroffe Kritik, die sie
Personen gegenüber fällt, deren Weltanschauung sie missbilligt, was in diesem Fall natürlich absolut einzusehen ist. Dieser
Frau gegenüber Rücksicht zu zeigen, wäre zu viel verlangt.
1951 kommt Arendts
Totalitarismus -
Buch heraus, und sie hat nun wieder mehr Zeit und Kraft, sich intensiver mit der Philosophie zu beschäftigen. Sie studiert
Heideggers
Holzwege
, eine Sammlung von Vorträgen und Aufsätzen, setzt sich mit Platon auseinander und liest Jaspers Werk
Von der Wahrheit.
Außerdem beginnt sie selbst mit einer neuen Schrift:
Amor Mundi,
die 1958 unter dem Titel
The Human Condition
in den USA und 1960 in Deutschland als
Vita activa
erscheint.
Was, so fragt Hannah Arendt in diesem Buch, geschieht genau, wenn Menschen auf die unterschiedlichste Weise tätig sind? Sie
untersucht das Phänomen »Arbeit« und in ganz besonderer Weise das »Handeln«. Innerhalb dieser Auseinandersetzung entwickelt
sie weitere Grundbegriffeihrer praktischen Philosophie. Einer davon ist die
Pluralität.
Ohne Pluralität könnte es gar keine unterschiedlichen Menschen geben. Das, was im zwischenmenschlichen Bereich unabdingbar
ist, ist die Verschiedenheit. Sie erst garantiert einen Spielraum für persönliches Handeln. So paradox das auch klingen mag,
es ist die Verschiedenheit oder Pluralität, die die Person als solche zur Erscheinung bringt. Das Wesen des Menschen zeigt
sich nicht dann, wenn man zu einem innersten Kern vorstößt und die Welt draußen lässt, sondern das Wesen des Menschen wird
überhaupt erst dadurch sichtbar, dass es auch andere Personen gibt.
Arendts Lehrer Heidegger, Husserl und Jaspers denken in die gleiche Richtung, aber keiner von ihnen bringt eine derart starke
politische Stoßkraft in die Erörterung des Menschen als eines Wesens, das immer schon in Bezügen lebt, ohne sie extra herstellen
zu müssen. Der Mensch ist als Mensch ein Sein-mit-anderen, so könnte man Arendts Ansatz kurz gefasst ausdrücken. Seine Person
bringt man zur Darstellung, wenn man spricht und handelt. Indem wir uns als Sprechende und Handelnde zeigen, wird deutlich,
wer wir sind. »Sprechend und handelnd schalten wir uns in die Welt der Menschen ein, die existierte, bevor wir in sie geboren
wurden, und diese Einschaltung ist wie eine zweite Geburt, in der wir die nackte Tatsache des Geborenseins bestätigen, gleichsam
die Verantwortung dafür auf uns nehmen.« 15
Verantwortung in unsrem Alltag zu übernehmen, uns als
zoon politicon
, als politisches Wesen, zu betätigen, erscheint Hannah Arendt als besonderes Kennzeichen von uns Menschen. Sie selbst ist
ein lebendiges Beispiel für diese These.
Das Leben in den USA ist weiterhin gekennzeichnet durch verschiedene politische Vorkommnisse, die Arendt wach beobachtet.
Vor allem die massiven antikommunistischen Umtriebe des Senators Joseph McCarthy bereiten ihr Sorge. McCarthy ist der Initiator
einer riesig angelegten Kampagne vor allem gegen Regierungsbeamte und Intellektuelle, die der Zusammenarbeit mit den Kommunisten
verdächtigt werden. Es ist klar für Hannah Arendt, dass sie von der sehr genauen Beobachtung des politischen Tagesgeschehens
niemals mehr wird absehen können. Was in Deutschland während der Zeit des Nationalsozialismus geschah, war nicht zuletzt deshalb
möglich geworden, weil es nicht genügend aufmerksame Leute gab. Wegschauen gilt nicht, so Arendts Devise. Philosophie und
Politik schließen einander nicht aus. Als Philosophin muss man nicht in einem Elfenbeinturm wohnen, nein, mitten im Alltag
muss es möglich sein, nachzudenken, sich zurückzuziehen, um dann verantwortungsvoll handelnd und urteilend zu agieren.
Die Auseinandersetzung mit Antisemitismus und Totalitarismus und ihre Philosophie des Handelns haben Arendt dazu prädestiniert,
den Prozess gegen Adolf Eichmann im Jahr 1961 in Jerusalem als Berichterstatterin für die Zeitschrift
The New Yorker
zu
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