Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben
die Philosophie als etwas begreift,
das fernab vom Getriebe der Menschen geschieht, auch wenn sie selbst es anders sieht. Vielleicht hat auch sie nach Jaspers’
Tod und nach der Erfahrung mit ihrem Buch über Eichmann stärker als früher das Bedürfnis, sich ein wenig aus der Öffentlichkeit
zurückzuziehen und nicht mehr zu stark im Rampenlicht zu stehen.
Ein weiterer schwerer Abschied steht Hannah Arendt bevor: Am 31. Oktober 1970 stirbt Heinrich Blücher an einem Herzinfarkt. An die Freundin Mary McCarthy schreibt sie: »Ich glaube nicht,
dass ich Dir erzählt habe, dass ich während zehn langer Jahre beständig Angst hatte, dass genau so ein plötzlicher Tod eintreten
würde. Diese Furcht grenzte häufig an echte Panik. Wo die Furcht war und die Panik, da ist nun einfach Leere. Manchmal meine
ich, ich könnte ohne diese Schwere in mir nicht mehr gehen. Ich sitze nun in Heinrichs Zimmer und benutze seine Schreibmaschine.
Gibt mir etwas, woran ich mich festhalten kann. Das Seltsame ist, dass ich in keinem Augenblick wirklich die Kontrolle verliere.« 22 Heinrich Blücher war für Arendt ein großes Glück gewesen. Mit ihm konnte sie alles besprechen, immer auf seinen Rat vertrauen.
Diese Ehe hat sie denkerisch weitergebracht und bereichert. Vielleicht hätte Arendt in ihrem Denken nie so originell sein
können ohne die vielen Gespräche, die sie nicht zuletzt mit ihrem Mann geführt hat. Alles, was sie in der Welt wahrnahm, konnte
sie mit ihm diskutieren. Auch den Bereich zwischen ihnen beiden nennt Arendt eine »Welt«. Im Todesjahr Blüchers schreibt sie
darüber an Heidegger: »Zwischen zwei Menschen entsteht manchmal, wie selten, eine Welt. Die ist dann die Heimat, jedenfalls
war es die einzige Heimat, die wir anzuerkennen bereit waren. Diese winzige Mikro-Welt, in die man sich vor der Welt immer
retten kann, die zerfällt, wenn einer weggeht.« 23
Dass Heimat zwischen zwei Menschen entsteht, daran glaubte Arendt schon immer. Die Heimat, das ist nicht Deutschland, nicht
Amerika für sie, Heimat war die Ehe mit Heinrich Blücher. Nun da er tot ist, befällt sie ein Gefühl der Heimatlosigkeit. Sie
wird mit ihrem Mannnun als Abwesendem sprechen müssen. Diese Herausforderung nimmt Arendt an. Das Bedürfnis nach Rückzug wird größer, der Wunsch,
sich in das öffentliche Leben einzumischen, kleiner, auch wenn sie sich natürlich auch jetzt nicht dem politischen Alltag
verweigern kann.
Der Rückzug wird Arendt nicht einfach gemacht. Wystan Hugh Auden, 1907 geborener, bedeutender englischer Dichter und ein sehr
guter Freund, macht ihr knapp zwei Monate nach Blüchers Tod einen Heiratsantrag. Wie immer in solch verzwickten Situationen
schreibt sie an Mary McCarthy: »Auden kam – sah so sehr wie ein Clochard aus, dass der Portier ihn begleitete, aus Furcht,
er könnte Gott-weiß-was sein. – Sagte, er käme nur meinetwegen zurück nach New York, dass ich für ihn von großer Wichtigkeit
sei, dass er mich sehr liebe usw. Als er ging, war er vollkommen betrunken, torkelte in den Aufzug. Ich ging nicht mit. Ich
hasse Mitleid, fürchte mich davor, schon immer, und ich glaube, ich habe niemanden gekannt, der mein Mitleid in diesem Ausmaß
erregt hat.« 24 Auden ist in Arendts Augen ein sehr großer Dichter, der allerdings mit seinem Leben nicht zurechtkommt. Sie würde ihm gerne
helfen, sieht sich aber dazu außerstande. Sie braucht ihre Kraft und Zeit für ein Vorhaben, das sie immer heftiger beschäftigt:
Sie möchte ihre Überlegungen zu dem, was Denken für sie bedeutet, wenigstens einigermaßen systematisch aufarbeiten und zu
Papier bringen.
Hannah Arendt produziert, hält Vorlesungen, die im Band
Vom Leben des Geistes, Teil
1
: Das Denken
erscheinen werden. Vor allem der Prozess gegen Adolf Eichmann hat, wie bereits angemerkt, die Frage in ihr laut werden lassen,
was es mit dem Denken auf sich hat. All das, was ihr bisher dazu eingefallen ist, will sie nun ordnen und in einenZusammenhang bringen. Dabei kommt es ihr nicht darauf an, ein vollkommenes systematisches Gebäude zu errichten, wie es etwa
Kant oder Hegel getan haben. Sie geht methodisch anders vor: Sie gräbt wie eine Archäologin in der Geistesgeschichte nach
Aussagen über das Denken und stößt dabei vor allem bei Kant und Thomas von Aquin auf die Feststellung, dass Menschen, die
denken, sich in einer Art »reiner Tätigkeit« befinden. Das erinnert an die »Lücke zwischen
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