Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben
geistiges. Der Mensch,
insofern er ein denkendes Wesen ist, ist sozusagen doppelt, Ich und Du.
Hätte Adolf Eichmann diese Erfahrung einmal gemacht, hätte er sich der zweiten Stimme in seinem Inneren ausgesetzt, dann hätte
er so etwas wie ein »Gewissen« bemerken können. Für Arendt bestärkt sich in der Beschäftigungmit dem Denken die Ansicht, dass Eichmann ein gedankenloser Mensch war. Gutes zu tun hängt mit unserer Fähigkeit zusammen,
in Zwiesprache mit uns selbst zu treten. Das berühmte »Blackout« kann zum Dauerzustand werden, und zwar immer dann, wenn Menschen
gedankenlos mitschwimmen. »Bei jedem kann es dazu kommen, dass er jenem Verkehr mit sich selbst ausweicht, dessen Möglichkeit
und Wichtigkeit Sokrates als Erster entdeckt hat.« 25
Das Denken selbst hat keine politische Relevanz, aber seine Wirkung reicht in den politischen Alltag hinein als Nebenprodukt.
»Das Denken – das Zwei-in-einem des stummen Zwiegesprächs – aktualisiert den Unterschied in unserer Identität, wie er im Bewusstsein
gegeben ist, und so entsteht als Nebenprodukt das Gewissen; die Urteilskraft, das Nebenprodukt der befreienden Wirkung des
Denkens, realisiert das Denken, bringt es in der Erscheinungswelt zur Geltung, wo ich nie allein bin und immer viel zu beschäftigt,
um denken zu können.« 26
Es ist völlig klar: Arendt muss am Ende ihrer Erörterungen über das Denken den Bogen zur Welt draußen wieder schlagen. Es
würde einfach nicht zu ihr passen, wenn sie sich nach der langen Zeit überzeugter Anteilnahme am politischen Geschehen total
zurückziehen würde. Typisch ist auch, dass ihr Text zunächst innerhalb einer Vorlesungsreihe an der Universität Aberdeen in
Schottland vorgestellt wird, bevor er in Buchform erscheint. Arendts Haltung zu ihrer Lehrtätigkeit an der Universität ist
allerdings schon immer eine gespaltene gewesen. Einerseits sucht sie den Kontakt zu Studenten, andererseits ist die Konzentration
darauf dann so groß, dass fast keine Kraft für das Schreiben bleibt. Arendt versucht, keine halben Sachen zu machen,und das erleichtert ihr die Arbeit nicht gerade. In den letzten Jahren ihres Lebens gibt sie dem Wunsch nach Rückzug ins Denken
nach und reduziert die öffentlichen Auftritte.
Arendt legt einen zweiten Band zum
Leben des Geistes
vor. Das Thema ist
Das Wollen.
Wie immer sieht sie sich in der Philosophiegeschichte um und stößt auf einige Denker, die sich über das Wollen ausgelassen
haben.
Ein besonders wichtiger Willens-Philosoph ist für sie Duns Scotus (um 1265 – 1308). Auch er lehrte hauptsächlich mündlich und hat wenige Schriften hinterlassen. Der Mensch ist in den Augen von Duns Scotus
gerade deshalb das Ebenbild Gottes, weil er die Möglichkeit zur freien Entscheidung hat. Gott selbst hat den Menschen nicht
aus einer zwingenden Notwendigkeit heraus geschaffen, sondern hätte sich auch anders entscheiden können. Und auch seinem Geschöpf
bleibt es vorbehalten, sich in dieser oder jener Situation so oder so zu entscheiden.
Ein anderes »Vorbild« für Arendt ist Augustinus, mit dem sie sich ja bereits in ihrer Doktorarbeit auseinandergesetzt hatte.
Nach Augustinus setzte Gott mit der Erschaffung des Menschen einen Anfang. Er schuf den Menschen in die bereits bestehende
Welt hinein, damit ein Anfang gemacht sei. Der Wille ist der direkte Anstoß zum Handeln, er bringt den Menschen dazu, den
Anfang aktiv zu übernehmen, also selbst ein Anfangender zu sein. Dies muss Arendt begeistern, hat sie doch dem spontanen Neubeginn
immer einen großen Wert beigemessen. An Augustinus wie an Duns Scotus gefällt ihr auch die philosophische Methode, nämlich
das nicht übermäßig Systematische des Werkes. Hier spielt eine gewisse freie Assoziation neben dem streng logischen Folgern
auch eineRolle. Sie fühlt sich stark angesprochen von diesen beiden Denkern und sieht sie als Geistesverwandte, an deren »Denkbruchstücken«
sich ihr eigenes Denken befeuern kann.
Für Arendt dient der Wille als Verbindungsglied zwischen Denken und Handeln. Er schafft den Bezug zur Alltagsrealität. Das
Gedachte ins Handeln umzusetzen, ist nicht so einfach. Das, was in der »Lücke zwischen Vergangenheit und Zukunft« geschieht,
muss einen Bezug zur Zukunft herstellen, und dies ist nur möglich durch das Wollen. Arendts Denken bleibt immer praxisbezogen,
es zieht sich nie in die reine Innerlichkeit des Bewusstseins zurück.
Mit den beiden
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